Posthumous Essays and Fragments
1879-1924
GA 46
Manuscript, undated, c. 1913
Automated Translation
70. On Spiritual Scientific Research
The Anthroposophical Society is dedicated to the cultivation of spiritual scientific research. The basis of this research is the realization that it is possible and necessary for our time to experience a similar change of views regarding the spiritual as human views experienced a similar change 4-5 centuries ago through Copernicus, Kepler, Galileo, Giordano Bruno and others regarding the natural sciences. This spiritual science is based on a real exploration of the spiritual world. In this respect, it is strictly opposed to all materialistic - or, as it is often called today, monistic - dogmatism. It seeks to apply the real methods of spiritual research and is of the opinion that materialistic world views and mere natural science simply do not know these methods - or have no inclination to deal with them - and therefore reject them. It takes the view that this rejection is currently arising from the same blinkered mentality as that which once opposed the Copernican worldview. The view of repeated lives on Earth is not a dogma of faith for spiritual researchers, but a result of their research. It seems just as incredible to people today as the assertion that the earth moves and does not rest once seemed to them. Thus, the Anthroposophical Society is to be regarded as a scientific society, not as a religious community or sect. The insights of spiritual research that are already possible today can be found in the writings of Dr. Rudolf Steiner. The building in Dornach near Basel, which is currently under construction, also serves to cultivate this knowledge. The artistic expression flowing from the insights of the spiritual world is also expressed in this building.
Since the spiritual-scientific results concern the important facts of the human soul life, it is natural that people's minds should also be interested in these results, that these results can become the innermost personal convictions, valuable to each one, which support and sustain him in his ethical, in his whole spiritual and also outer life. At the same time, it remains true that there can be no question of the Anthroposophical Society founding a religion or anything similar. The Society is far from even touching on any religious worldview. It can have the adherents of any religious confession in its midst. It cultivates spiritual scientific research and has nothing to do with any creed. It presents what can be investigated by spiritual science, just as natural science presents what can be investigated by natural science. Just as true natural science can never interfere with religion, given a proper understanding of the relationship between the two, so spiritual science cannot do so either. At present, anthroposophy no longer has any community with the so-called theosophical societies. It stands completely independently of any other society on the basis of the spiritual research characterized above. It is understandable that it faces opposition from religions and also from materialistic science, since its research results are currently still misunderstood, misinterpreted and the like. She will have to struggle not to appear like a sect, but like the bearers of such knowledge, which at the time of its appearance seems like fantasies, but which then become the basic pillars in the progression of the human worldview.
However, anyone who believes that there can be no other view of the spiritual world than the traditional one, or that such a view must be preserved for “belief”, will inevitably misunderstand the whole nature of spiritual research. But one should recognize that this currently reveals the same attitude as that which rejected Copernicus because it was believed that the Christian canon was contrary to the Bible.
Those who are familiar with spiritual science are of the opinion that the establishment of the fundamentals of human life in the broadest sense can lead to an elevation of the moral and of all life in general, and that with the spread of spiritual science, many an ideal will be realized, for which the best and most honest minds yearn; or in whose realization many despair because they see no possibility of realization in the materialistic present. Perhaps he will no longer do so when he penetrates into the real meaning of spiritual research. The Anthroposophical Society would like to serve knowledge and life in a calm way, based on genuine science. But it is based on a science that does not stop short of exploring real spiritual realms. —
70. Zur geisteswissenschaftlichen Forschung
Manuskript, undatiert, um 1913
Die Anthroposophische Gesellschaft widmet sich der Pflege geisteswissenschaftlicher Forschung. Die Grundlage dieser Forschung ist die Erkenntnis, dass es unserer Zeit möglich und notwendig ist, einen ähnlichen Umschwung der Anschauungen in Bezug auf das Geistige zu erleben, wie ihn vor 4-5 Jahrhunderten die menschlichen Anschauungen durch Kopernikus, Kepler, Galilei, Giordano Bruno und andere in Bezug auf das Naturwissenschaftliche erlebt haben. Diese Geisteswissenschaft steht auf dem Boden einer wirklichen Erforschung der geistigen Welt. Insofern ist sie allem materialistischen - oder wie man ihn heute oft nennt monistischen - Dogmatismus streng entgegengesetzt. Sie sucht die wirklichen Methoden der Geistesforschung anzuwenden und ist der Meinung, dass die materialistischen Weltauffassungen und die bloße Naturwissenschaft diese Methoden einfach nicht kennen - oder keine Neigung haben, sich mit ihnen zu beschäftigen - und sie daher ablehnen. Sie steht auf dem Standpunkte, dass diese Ablehnung gegenwärtig aus derselben befangenen Geistesart hervorgeht wie diejenige ist, die sich einstmals gegen die kopernikanische Weltanschauung gewendet hat. Die Anschauung von den wiederholten Erdenleben ist der Geistesforschung kein Glaubensdogma, sondern ein Forschungsresultat. Es erscheint gegenwärtig den Menschen ebenso unglaublich, wie ihnen einmal die Behauptung geschienen hat, dass die Erde sich bewegt und nicht ruht. So ist die Anthroposophische Gesellschaft durchaus einer wissenschaftlichen Gesellschaft gleich zu achten, nicht einer religiösen Gemeinschaft oder Sekte. Die gegenwärtig schon möglichen Erkenntnisse der Geistesforschung findet man in den Schriften Dr. Rudolf Steiners dargestellt. Der Pflege dieser Erkenntnis dient auch der Bau, welcher in Dornach bei Basel aufgeführt wird. In diesem Bau kommt auch die aus den Erkenntnissen der Geisteswelt fließende künstlerische Anschauungsart zum Ausdrucke.
Da die geisteswissenschaftlichen Ergebnisse die wichtigen Tatsachen des menschlichen Seelenlebens betreffen, so ist es naturgemäß, dass sich auch das Gemüt der Menschen durch diese Ergebnisse interessiert fühlt, dass diese Ergebnisse zu innersten persönlich für jeden wertvollen Überzeugungen werden können, die ihn stützen und tragen im ethischen, im ganzen geistigen und auch äußeren Leben. Dabei bleibt es doch richtig, dass gar nicht davon die Rede sein kann, als ob die Anthroposophische Gesellschaft eine Religionsgründung oder dfer]gl[eichen] darstelle. Die Gesellschaft ist weit davon entfernt, irgendeine religiöse Weltanschauung auch nur zu berühren. Sie kann die Bekenner jedes Religionsbekenntnisses in ihrer Mitte haben. Sie pflegt geisteswissenschaftliche Forschung und hat nichts zu tun mit irgendeinem Glaubensbekenntnis, beziehungsweise sie stellt hin, was geisteswissenschaftlich erforschbar ist, wie die Naturwissenschaft hinstellt, was naturwissenschaftlich erforschbar ist. So wenig wahre Naturwissenschaft der Religion - bei richtigem Verständnis des Verhältnisses der beiden - jemals ins Gehege kommen kann, so wenig kann dies die Geisteswissenschaft. Mit den sogenannten theosophischen Gesellschaften hat die anthroposophische gegenwärtig keine Gemeinschaft mehr. Sie steht völlig unabhängig von jeder andern Gesellschaft auf der Grundlage der oben charakterisierten Geistesforschung. Dass ihr Gegnerschaft von Seite der Religionen und auch der materialistisch gesinnten Wissenschaft erwächst, ist verständlich, da ihre Forschungsergebnisse gegenwärtig noch missverstanden, missdeutet und d[er]gl[eichen] werden. Sie wird sich durchringen müssen, nicht wie eine Sekte [aufzutreten], sondern wie die Träger solcher Erkenntnisse, welche in der Zeit ihres Auftreten so erscheinen wie Fantastereien, die aber dann zu Grundsäulen im Fortgang der menschlichen Weltanschauung werden.
Wer allerdings die Ansicht vertritt, dass es über die geistige Welt keine andre als die traditionell überlieferte Anschauung geben dürfe, oder dass eine solche Anschauung dem «Glauben» gewahrt werden müsse, der wird die ganze Art der Geistesforschung missverstehen müssen. Doch sollte man erkennen, dass dies gegenwärtig wirklich dieselbe Gesinnung verrät, wie diejenige war, die den Kopernikus ablehnte, weil man glaubte, dass der christliche Domherr gegen die Bibel verstoße.
Die Kenner der Geisteswissenschaft sind der Ansicht, dass die Begründung des menschlichen Lebens auf ihren Grundlagen im umfassendsten Sinne zur Erhöhung des moralischen und des ganzen Lebens überhaupt führen kann, und dass mit der Verbreitung der Geisteswissenschaft sich manches Ideal verwirklichen werde, nach dem die besten, die redlichsten Geister sich sehnen; oder an dessen Verwirklichung gar mancher verzweifelt, weil er in der materialistischen Gegenwart keine Möglichkeit der Verwirklichung sieht. Er wird es vielleicht nicht mehr, wenn er in den wirklichen Sinn der Geistesforschung eindringt. Die Anthroposophische Gesellschaft möchte der Erkenntnis und dem Leben in ruhiger, auf echter Wissenschaftlichkeit fußender Art dienen. Aber allerdings aufgrund einer Wissenschaft, die vor der Erforschung wirklicher geistiger Gebiete nicht mutlos haltmacht. —