Aus der Akasha-Chronik
GA 11
Die Kultur der Gegenwart im Spiegel der Geisteswissenschaft
[ 1 ] Für denjenigen, welcher den Gang der wissenschaftlichen Entwickelung in den letzten Jahrzehnten verfolgt, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sich innerhalb desselben ein mächtiger Umschwung vorbereitet. Ganz anders als vor kurzer Zeit klingt es heute, wenn ein Naturforscher sich über die sogenannten Rätsel des Daseins ausspricht. - Es war um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als einige der kühnsten Geister in dem wissenschaftlichen Materialismus das einzig mögliche Glaubensbekenntnis sahen, das jemand haben kann, der mit den neueren Ergebnissen der Forschung bekannt ist. Berühmt geworden ist ja der derbe Ausspruch, der damals gefallen ist, daß «die Gedanken etwa in demselben Verhältnisse zum Gehirne stehen wie die Galle zu der Leber». Karl Vogt hat ihn getan, der in seinem «Köhlerglauben und Wissenschaft» und in anderen Schriften alles für überwunden erklärte, was nicht die geistige Tätigkeit, das seelische Leben aus dem Mechanismus des Nervensystems und des Gehirnes so hervorgehen ließ, wie der Physiker erklärt, daß aus dem Mechanismus der Uhr das Vorwärtsrücken der Zeiger hervorgeht. Es war die Zeit, in welcher Ludwig Büchners «Kraft und Stoff» für weite Kreise von Gebildeten zu einer Art Evangelium geworden ist. Man darf wohl sagen, daß vortreffliche, unabhängig denkende Köpfe zu solchen Überzeugungen durch den gewaltigen Eindruck gekommen sind, welchen die Erfolge der Naturwissenschaft in neuerer Zeit gemacht haben. Das Mikroskop hatte kurz vorher die Zusammensetzung der Lebewesen aus ihren kleinsten Teilen, den Zellen, gelehrt. Die Geologie, die Lehre von der Erdbildung, war dahin gekommen, das Werden unseres Planeten nach denselben Gesetzen zu erklären, die heute noch tätig sind. Der Darwinismus versprach auf eine rein natürliche Weise den Ursprung des Menschen zu erklären und trat seinen Siegeslauf durch die gebildete Welt so verheißungsvoll an, daß für viele durch ihn aller «alte Glaube» abgetan zu sein schien. Das ist seit kurzem ganz anders geworden. Zwar finden sich noch immer Nachzügler dieser Ansichten, die wie Ladenburg auf der Naturforscher-Versammlung von 1903 das materialistische Evangelium verkündigen; aber ihnen gegenüber stehen andere, welche durch ein reiferes Nachdenken über wissenschaftliche Fragen zu einer ganz anderen Sprache gekommen sind. Eben ist eine Schrift erschienen, welche den Titel trägt «Naturwissenschaft und Weltanschauung». Sie hat Max Verworn zum Verfasser, einen Physiologen, der aus Haeckels Schule hervorgegangen ist. In dieser Schrift ist zu lesen: «In der Tat, selbst wenn wir die vollkommenste Kenntnis besäßen von den physiologischen Ereignissen in den Zellen und Fasern der Großhirnrinde, mit denen das psychische Geschehen verknüpft ist, selbst wenn wir in die Mechanik des Hirngetriebes hineinschauen könnten wie in das Getriebe der Räder eines Uhrwerkes, wir würden doch niemals etwas anderes finden als bewegte Atome. Kein Mensch könnte sehen oder sonst irgendwie sinnlich wahrnehmen, wie dabei Empfindungen und Vorstellungen entstehen. Die Resultate, welche die materialistische Auffassung bei ihrem Versuch der Zurückführung geistiger Vorgänge auf Atombewegungen gehabt hat, illustrieren denn auch sehr anschaulich ihre Leistungsfähigkeit: Solange die materialistische Anschauung besteht, hat sie nicht die einfachste Empfindung durch Atombewegungen erklärt. So war es und so wird es sein in Zukunft. Wie wäre es auch denkbar, daß jemals Dinge, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind wie die psychischen Vorgänge, ihre Erklärung finden könnten durch eine bloße Zerlegung großer Körper in ihre kleinsten Teile! Es bleibt ja das Atom doch immer noch ein Körper und keine Bewegung von Atomen ist jemals imstande, die Kluft zu überbrücken zwischen Körperwelt und Psyche. Die materialistische Auffassung, so fruchtbar sie als naturwissenschaftliche Arbeitshypothese gewesen ist, so fruchtbar sie in diesem Sinne auch zweifellos noch in Zukunft bleiben wird - ich verweise nur auf die Erfolge der Struktur-Chemie -, so unbrauchbar ist sie doch als Grundlage für eine Weltanschauung. Hier erweist sie sich als zu eng. Der philosophische Materialismus hat seine historische Rolle ausgespielt. Dieser Versuch einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung ist für immer mißlungen.» So spricht ein Naturforscher am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts über die Anschauung, die um die Mitte des neunzehnten wie ein neues, durch die wissenschaftlichen Fortschritte gefordertes Evangelium verkündet worden ist.
[ 2 ] Insbesondere sind es die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts, welche als diejenigen der materialistischen Hochflut bezeichnet werden dürfen. Einen wahrhaft faszinierenden Einfluß übte damals die Erklärung der geistigen und seelischen Erscheinungen aus rein mechanischen Vorgängen aus. Und die Materialisten durften sich damals sagen, daß sie einen Sieg über die Anhänger der geistigen Weltanschauung davongetragen haben. Auch solche, die nicht von naturwissenschaftlichen Studien ausgegangen waren, traten in ihr Gefolge. Hatten noch Büchner, Vogt, Moleschott und andere auf rein naturwissenschaftliche Voraussetzungen gebaut, so versuchte David Friedrich Strauß 1872 in seinem «Alten und neuen Glauben» aus seinen theologischen und philosophischen Erkenntnissen heraus die Stützpunkte für das neue Bekenntnis zu gewinnen. Er hatte schon vor Jahrzehnten in aufsehenerregender Weise in das Geistesleben durch sein «Leben Jesu» eingegriffen. Er schien ausgerüstet zu sein mit der vollen theologischen und philosophischen Bildung seiner Zeit. Er sprach es jetzt kühn aus, daß die im materialistischen Sinne gehaltene Erklärung der Welterscheinungen einschließlich des Menschen die Grundlage bilden müsse für ein neues Evangelium, für eine neue sittliche Erfassung und Gestaltung des Daseins. Die Abkunft des Menschen von rein tierischen Vorfahren schien ein neues Dogma werden zu wollen, und alles Festhalten an einem geistig-seelischen Ursprung unseres Geschlechtes galt in den Augen der naturforschenden Philosophen als stehengebliebener Aberglaube aus dem Kindheitsalter der Menschheit, mit dem man sich nicht weiter zu beschäftigen habe.
[ 3 ] Und denen, welche auf der neueren Naturwissenschaft bauten, kamen die Kulturhistoriker zu Hilfe. Die Sitten und Anschauungen wilder Volksstämme wurden zum Studium gemacht. Die Überreste primitiver Kulturen, die man aus der Erde gräbt, wie die Knochen vorweltlicher Tiere und die Abdrücke untergegangener Pflanzenwelten: sie sollten ein Zeugnis abgeben für die Tatsache, daß der Mensch bei seinem ersten Auftreten auf dem Erdball sich nur dem Grade nach von den höheren Tieren unterschieden habe, daß er aber geistig-seelisch sich durchaus von der bloßen Tierheit zu seiner jetzigen Höhe heraufentwickelt habe. Es war ein Zeitpunkt eingetreten, wo alles in diesem materialistischen Baue zu stimmen schien. Und unter einem gewissen Zwange, den die Vorstellungen der Zeit auf sie ausübten, dachten die Menschen so, wie ein gläubiger Materialist schreibt: «Das eifrige Studium der Wissenschaft hat mich dazu gebracht, alles ruhig aufzunehmen, das Unabänderliche geduldig zu tragen und übrigens dafür sorgen zu helfen, daß der Menschheit Jammer allmählich gemindert werde. Auf die phantastischen Tröstungen, die ein gläubiges Gemüt in wunderbaren Formeln sucht, kann ich um so leichter verzichten, als meine Phantasie durch Literatur und Kunst die schönste Anregung findet. Wenn ich dem Gang eines großen Dramas folge oder an der Hand von Gelehrten eine Reise zu anderen Sternen, eine Wanderung durch vorweltliche Landschaften unternehme, wenn ich die Erhabenheit der Natur auf Bergesgipfeln bewundere oder die Kunst des Menschen in Tönen und Farben verehre, habe ich da nicht des Erhebenden genug? Brauche ich dann noch etwas, das meiner Vernunft widerspricht? - die Furcht vor dem Tode, die so viele Fromme quält, ist mir vollständig fremd. Ich weiß, daß ich, wenn mein Leib zerfällt, so wenig fortlebe, wie ich vor meiner Geburt gelebt habe. Die Qualen des Fegefeuers und einer Hölle sind für mich nicht vorhanden. Ich kehre in das grenzenlose Reich der Natur zurück, die alle Kinder liebend umfaßt. Mein Leben war nicht vergeblich. Ich habe die Kraft, die ich besaß, wohl angewendet. Ich scheide von der Erde in dem festen Glauben, daß sich alles besser und schöner gestalten wird!» (Vom Glauben zum Wissen. Ein lehrreicher Entwickelungsgang getreu nach dem Leben geschildert von Kuno Freidank.) So denken heute viele, auf welche die Zwangsvorstellungen noch Gewalt haben, die in der genannten Zeit auf die Vertreter der materialistischen Weltanschauung wirkten.
[ 4 ] Diejenigen aber, die versuchten, sich auf der Höhe des wissenschaftlichen Denkens zu halten, sind zu anderen Vorstellungen gekommen. Berühmt geworden ist ja die erste Entgegnung, die von Seite eines hervorragenden Naturforschers auf der Naturforscher-Versammlung in Leipzig (1876) auf den naturwissenschaftlichen Materialismus ausgegangen ist. Du Bois-Reymond hat damals seine «Ignorabimus-Rede» gehalten. Er versuchte zu zeigen, daß dieser naturwissenschaftliche Materialismus in der Tat nichts vermag als die Bewegungen kleinster Stoffteilchen festzustellen, und er forderte, daß er sich damit begnügen müsse, solches zu tun. Aber er betonte zugleich, daß damit auch nicht das Geringste geleistet ist zur Erklärung der geistigen und seelischen Vorgänge. Man mag sich zu diesen Ausführungen Du Bois-Reymonds stellen wie man wolle: soviel ist klar, sie bedeutete eine Absage an die materialistische Welterklärung. Sie zeigte, wie man als Naturforscher an dieser irre werden könne.
[ 5 ] Die materialistische Welterklärung war damit in das Stadium eingetreten, auf dem sie sich bescheiden erklärte gegenüber dem Leben der Seele. Sie stellte ihr «Nichtwissen» (Agnostizismus) fest. Zwar erklärte sie, daß sie «wissenschaftlich» bleiben und nicht ihre Zuflucht zu anderen Wissensquellen nehmen wolle; aber sie wollte auch nicht mit ihren Mitteln aufsteigen zu einer höheren Weltanschauung. (In umfassender Art hat in neuerer Zeit Raoul France, ein Naturforscher, die Unzulänglichkeit der naturwissenschaftlichen Ergebnisse für eine höhere Weltanschauung gezeigt. Dies ist ein Unternehmen, auf das wir noch ein anderes Mal zurückkommen möchten.)
[ 6 ] Und nun mehrten sich auch stetig die Tatsachen, welche das Unmögliche des Unterfangens zeigten, auf die Erforschung der materiellen Erscheinungen eine Seelenkunde aufzubauen. Die Wissenschaft wurde gezwungen, gewisse «abnorme» Erscheinungen des Seelenlebens, den Hypnotismus, die Suggestion, den Somnambulismus zu studieren. Es zeigte sich, daß diesen Erscheinungen gegenüber für den wirklich Denkenden eine materialistische Anschauung ganz unzulänglich ist. Es waren keine neuen Tatsachen, die man kennenlernte. Es waren vielmehr Erscheinungen, die man in alten Zeiten schon und bis in den Anfang des neunzehnten Jahrhunderts herein studiert hatte, die aber in der Zeit der materialistischen Hochflut als unbequem einfach beiseite gesetzt worden waren.
[ 7 ] Dazu kam noch etwas anderes. Immer mehr zeigte sich, auf welch schwachem Untergrunde die Naturforscher selbst mit ihren Erklärungen von der Entstehung der Tierformen und folglich auch des Menschen gebaut hatten. Welche Anziehungskraft übten doch die Vorstellungen von der «Anpassung» und dem «Kampf ums Dasein» bei der Erklärung der Artentstehung eine Zeitlang aus. Man lernte einsehen, daß man mit ihnen Blendwerken nachgegangen war. Es bildete sich eine Schule - unter Weismanns Führung -, die nichts davon wissen wollte, daß sich Eigenschaften, welche ein Lebewesen durch Anpassung an die Umgebung erworben hat, vererben könnten, und daß so durch sie eine Umbildung der Lebewesen eintrete. Man schrieb daher alles dem «Kampf ums Dasein» zu und sprach von einer «Allmacht der Naturzüchtung». In schroffen Gegensatz dazu traten, gestützt auf unbezweifelbare Tatsachen, solche, die erklärten, man habe in Fällen von einem «Kampf ums Dasein» gesprochen, wo er gar nicht existiere. Sie wollten dartun, daß nichts durch ihn erklärt werden könne. Sie sprachen von einer «Ohnmacht der Naturzüchtung». Weiter konnte de Vries in den letzten Jahren durch Versuche zeigen, daß es ganz sprungweise Veränderungen einer Lebensform in die andere gebe (Mutation). Damit ist auch erschüttert, was man von seiten der Darwinianer als einen festen Glaubensartikel angesehen hat, daß sich Tier- und Pflanzenformen nur allmählich umwandelten. Immer mehr schwand einfach der Boden unter den Füßen, auf dem man jahrzehntelang gebaut hatte. Denkende Forscher hatten ohnedies schon früher diesen Boden verlassen zu müssen geglaubt, wie der jung verstorbene W. H. Rolph, der in seinem Buche: «Biologische Probleme, zugleich als Versuch zur Entwicklung einer rationellen Ethik» schon 1884 erklärt: «Erst durch die Einführung der Unersättlichkeit wird das darwinistische Prinzip im Lebenskampfe annehmbar. Denn nun erst haben wir eine Erklärung für die Tatsache, daß das Geschöpf, wo immer es kann, mehr erwirbt, als es zur Erhaltung des Status quo bedarf, daß es im Übermaß wächst, wo die Gelegenheit dazu gegeben ist... Während es für den Darwinisten überall da keinen Daseinskampf gibt, wo die Existenz des Geschöpfes nicht bedroht ist, ist für mich der Kampf ein allgegenwärtiger. Er ist eben primär ein Lebenskampf, ein Kampf um Lebensmehrung, aber kein Kampf ums Dasein.»
[ 8 ] Nur natürlich ist es, daß sich bei solcher Lage der Tatsachen die Einsichtigen gestehen: Die materialistische Gedankenwelt taugt nicht zum Aufbau einer Weltanschauung. Wir dürfen, von ihr ausgehend, nichts über die seelischen und geistigen Erscheinungen aussagen. Und es gibt heute schon zahlreiche Naturforscher, welche auf ganz anderen Vorstellungen sich ein Weltgebäude zu errichten suchen. Es braucht nur an das Werk des Botanikers Reincke erinnert zu werden «Die Welt als Tat». Dabei zeigt es sich allerdings, daß solche Naturforscher nicht ungestraft in den rein materialistischen Vorstellungen erzogen worden sind. Was sie von ihrem neuen idealistischen Standpunkte aus vorbringen, das ist ärmlich, das kann sie einstweilen befriedigen, nicht aber diejenigen, welche tiefer in die Welträtsel hineinblicken. Solche Naturforscher können sich nicht entschließen, an diejenigen Methoden heranzutreten, die von der wirklichen Betrachtung des Geistes und der Seele ausgehen. Sie haben die größte Furcht vor der «Mystik», vor «Gnosis» oder «Theosophie». Das leuchtet zum Beispiel klar aus der angeführten Schrift Verworns heraus. Er sagt: «Es gärt in der Naturwissenschaft. Dinge, die allen klar und durchsichtig erschienen, haben sich heute getrübt. Langerprobte Symbole und Vorstellungen, mit denen noch vor kurzem ohne Bedenken jeder auf Schritt und Tritt umging und arbeitete, sind ins Wanken geraten und werden mit Mißtrauen betrachtet. Grundbegriffe, wie die der Materie, erscheinen erschüttert, und der festeste Boden beginnt unter den Schritten des Naturforschers zu schwanken. Felsenfest allein stehen gewisse Probleme, an denen bisher alle Versuche, alle Anstrengungen der Naturwissenschaft zerschellt sind. Der Verzagte wirft sich bei dieser Erkenntnis resigniert der Mystik in die Arme, die von jeher die letzte Zuflucht war, wo der gequälte Verstand keinen Ausweg mehr sah. Der Besonnene sieht sich nach neuen Symbolen um und versucht neue Grundlagen zu schaffen, auf denen er weiter bauen kann.» Man sieht, der naturforschende Denker von heute ist durch seine Vorstellungsgewohnheiten nicht in der Lage, sich einen andern Begriff von «Mystik» zu machen als einen solchen, der Verworrenheit, Unklarheit des Verstandes einschließt. - und zu welchen Vorstellungen von dem Seelenleben kommt ein solcher Denker! Wir lesen am Schluß der angeführten Schrift: «Der prähistorische Mensch hatte die Idee einer Trennung von Leib und Seele gebildet beim Anblick des Todes. Die Seele trennte sich vom Leibe und führte ein selbständiges Dasein. Sie fand keine Ruhe und kam wieder als Geist, wenn sie nicht durch sepulkrale Zeremonien gebannt wurde. Furcht und Aberglauben ängstigten den Menschen. Die Reste dieser Anschauungen haben sich bis in unsere Zeit gerettet. Die Furcht vor dem Tode, das heißt vor dem, was nachher kommen wird, ist noch heute weit verbreitet. - Wie anders gestaltet sich das alles vom Standpunkte des Psychomonismus! Da die psychischen Erlebnisse des Individuums nur zustande kommen, wenn bestimmte, gesetzmäßige Verknüpfungen existieren, so fallen sie weg, sobald diese Verknüpfungen irgendwie gestört werden, wie das ja schon während des Tages unaufhörlich geschieht. Mit den körperlichen Veränderungen beim Tode hören diese Verknüpfungen ganz auf. So kann also keine Empfindung und Vorstellung, kein Gedanke und kein Gefühl des Individuums mehr bestehen. Die individuelle Seele ist tot. Dennoch leben die Empfindungen und Gedanken und Gefühle weiter. Sie leben weiter über das vergängliche Individuum hinaus in anderen Individuen, überall da, wo die gleichen Komplexe von Bedingungen existieren. Sie pflanzen sich fort von Individuum zu Individuum, von Generation zu Generation, von Volk zu Volk. Sie wirken und weben am ewigen Webstuhl der Seele. Sie arbeiten an der Geschichte des menschlichen Geistes. - So leben wir alle nach dem Tode weiter als Glieder in der großen, zusammenhängenden Kette geistiger Entwicklung.» Aber ist denn das etwas anderes als das Fortleben der Wasserwelle in anderen, die sie aufgeworfen hat, während sie selbst vergeht? Lebt man wahrhaft weiter, wenn man nur in seinen Wirkungen weiterbesteht? Hat man solches Weiterleben nicht mit allen Erscheinungen auch der physischen Natur gemein? Man sieht, die materialistische Weltauffassung mußte ihre eigenen Grundlagen untergraben. Neue vermag sie noch nicht zu bauen. Erst das wahre Verständnis von Mystik, Theosophie, Gnosis wird ihr solches möglich machen. Der Chemiker Ostwald hat vor mehreren Jahren auf der Naturforscher-Versammlung zu Lübeck von der «Überwindung des Materialismus» gesprochen und für das damit angedeutete Ziel eine neue naturphilosophische Zeitschrift begründet. Die Naturwissenschaft ist reif, die Früchte einer höheren Weltanschauung in Empfang zu nehmen. Und alles Sträuben wird ihr nichts nützen; sie wird den Bedürfnissen der sehnenden Menschenseele Rechnung tragen müssen.
The culture of the present in the mirror of the humanities
[ 1 ] For anyone who has followed the course of scientific development in recent decades, there can be no doubt that a powerful change is taking place within it. It sounds quite different today than it did a short time ago when a natural scientist talks about the so-called riddles of existence. - It was around the middle of the nineteenth century that some of the boldest minds saw in scientific materialism the only possible creed that anyone familiar with the latest results of research could have. The crude statement that was made at the time that "thoughts have roughly the same relationship to the brain as bile has to the liver" has become famous. It was Karl Vogt who, in his "Köhlerglauben und Wissenschaft" and in other writings, declared that everything that did not allow mental activity, mental life, to emerge from the mechanism of the nervous system and the brain in the same way as the physicist explains that the forward movement of the hands emerges from the mechanism of the clock. It was the time when Ludwig Büchner's "Force and Substance" became a kind of gospel for wide circles of educated people. It is fair to say that excellent, independent minds came to such convictions as a result of the tremendous impression made by the successes of natural science in recent times. Shortly before, the microscope had taught the composition of living beings from their smallest parts, the cells. Geology, the study of the formation of the earth, had come to explain the development of our planet according to the same laws that are still at work today. Darwinism promised to explain the origin of man in a purely natural way and began its triumphal march through the educated world so promisingly that for many all "old beliefs" seemed to have been dismissed. This has recently changed completely. Admittedly, there are still latecomers to these views who, like Ladenburg at the naturalists' meeting of 1903, proclaim the materialistic gospel; but they are opposed by others who, through more mature reflection on scientific questions, have arrived at a completely different language. A book has just been published entitled "Natural Science and World View". It was written by Max Verworn, a physiologist who emerged from Haeckel's school. In this paper we read: "In fact, even if we had the most perfect knowledge of the physiological events in the cells and fibers of the cerebral cortex, with which the psychic events are connected, even if we could look into the mechanics of the brain's gears like into the gears of a clockwork, we would never find anything other than atoms in motion. No human being would be able to see or otherwise sensually perceive how sensations and ideas arise. The results that the materialistic view has had in its attempt to attribute mental processes to atomic movements illustrate its efficiency very clearly: as long as the materialistic view has existed, it has not explained the simplest sensation by atomic movements. So it was and so it will be in the future. How would it be conceivable that things which are not perceptible to the senses, such as psychic processes, could ever be explained by a mere decomposition of large bodies into their smallest parts! After all, the atom still remains a body and no movement of atoms is ever capable of bridging the gap between the physical world and the psyche. The materialistic view, as fruitful as it has been as a working hypothesis in the natural sciences, as fruitful as it will undoubtedly remain in this sense in the future - I refer only to the successes of structural chemistry - is nevertheless useless as a basis for a world view. Here it proves to be too narrow. philosophical materialism has played out its historical role. This attempt at a scientific world view has failed forever." This is how a natural scientist spoke at the beginning of the twentieth century about the view that was proclaimed around the middle of the nineteenth century like a new gospel demanded by scientific progress.
[ 2 ] In particular, it is the fifties, sixties and seventies of the nineteenth century that may be described as those of the materialist high tide. At that time, the explanation of mental and spiritual phenomena from purely mechanical processes exerted a truly fascinating influence. And the materialists could say at that time that they had won a victory over the followers of the spiritual world view. Even those who had not started out from scientific studies joined their ranks. Whereas Büchner, Vogt, Moleschott and others had still built on purely scientific premises, David Friedrich Strauss attempted to gain the basis for the new creed from his theological and philosophical findings in his "Old and New Faith" in 1872. He had already made a sensational impact on intellectual life decades earlier with his "Life of Jesus". He seemed to be equipped with the full theological and philosophical education of his time. He now boldly stated that the materialistic explanation of world phenomena, including man, must form the basis for a new gospel, for a new moral understanding and shaping of existence. The descent of man from purely animal ancestors seemed to want to become a new dogma, and all adherence to a spiritual-soul origin of our race was regarded by the naturalist philosophers as superstition from the infancy of mankind that should no longer be dealt with.
[ 3 ] And those who built on the newer natural sciences came to the aid of cultural historians. The customs and beliefs of wild tribes were made the subject of study. The remains of primitive cultures dug out of the earth, such as the bones of pre-mundane animals and the imprints of vanished plant worlds: they were to bear witness to the fact that man, when he first appeared on the globe, differed only in degree from the higher animals, but that he had developed spiritually and mentally from mere animality to his present height. A time had come when everything in this materialistic structure seemed to be right. And under a certain compulsion exerted upon them by the ideas of the time, men thought as a devout materialist writes: "The diligent study of science has led me to accept everything calmly, to bear the unalterable patiently, and incidentally to help ensure that the misery of mankind is gradually lessened. I can all the more easily do without the fantastic consolations which a believing mind seeks in wonderful formulas, as my imagination finds the most beautiful stimulation through literature and art. When I follow the course of a great drama or take a journey to other stars by the hand of scholars, a hike through pre-mundane landscapes, when I admire the sublimity of nature on mountain peaks or admire the art of man in sounds and colors, do I not have enough of the uplifting? Do I then still need something that contradicts my reason? - The fear of death, which torments so many pious people, is completely alien to me. I know that when my body decays, I will live as little as I lived before I was born. The torments of purgatory and hell do not exist for me. I return to the boundless realm of nature, which lovingly embraces all children. My life was not in vain. I have made good use of the strength I possessed. I depart from the earth in the firm belief that everything will be better and more beautiful!" (From faith to knowledge. An instructive course of development faithfully described from life by Kuno Freidank). This is how many people think today who are still influenced by the obsessions that affected the representatives of the materialistic world view at that time.
[ 4 ] But those who tried to keep up with scientific thinking came to other ideas. The first rebuttal to scientific materialism by an outstanding naturalist at the Naturalists' Assembly in Leipzig (1876) became famous. Du Bois-Reymond gave his "Ignorabimus speech" at that time. He tried to show that this scientific materialism was in fact capable of nothing more than determining the movements of the smallest particles of matter, and he demanded that it must be content to do this. But at the same time he emphasized that this did not do the least to explain mental and spiritual processes. One may take whatever view one likes of Du Bois-Reymond's remarks: this much is clear: they signified a rejection of the materialistic explanation of the world. It showed how natural scientists could be misled by it.
[ 5 ] The materialistic explanation of the world had thus entered the stage at which it declared itself modest in relation to the life of the soul. It established its "ignorance" (agnosticism). Although it declared that it wanted to remain "scientific" and not take refuge in other sources of knowledge, it also did not want to use its means to ascend to a higher world view. (More recently, Raoul France, a natural scientist, has shown in a comprehensive manner the inadequacy of scientific results for a higher world view. This is an undertaking to which we will return another time).
[ 6 ] And now the facts also steadily increased, showing the impossibility of the endeavor to build a science of the soul on the investigation of material phenomena. Science was forced to study certain "abnormal" phenomena of mental life, hypnotism, suggestion and somnambulism. It turned out that a materialistic view of these phenomena is quite inadequate for the truly thinking person. They were not new facts that one became acquainted with. Rather, they were phenomena that had already been studied in ancient times and up to the beginning of the nineteenth century, but which had simply been set aside as inconvenient in the time of the materialistic high tide.
[ 7 ] There was something else too. It became increasingly apparent on what a weak foundation the naturalists themselves had built their explanations of the origin of animal forms and consequently also of man. What an attraction the ideas of "adaptation" and the "struggle for existence" exerted for a time in explaining the origin of species. We learned to realize that we had been following deceptive ideas. A school emerged - under Weismann's leadership - that did not want to know that characteristics that a living being had acquired through adaptation to its environment could be inherited, and that a reshaping of living beings could occur as a result. They therefore attributed everything to the "struggle for existence" and spoke of the "omnipotence of natural breeding". In sharp contrast to this, based on indisputable facts, there were those who declared that a "struggle for existence" had been spoken of in cases where it did not even exist. They wanted to show that nothing could be explained by it. They spoke of the "impotence of natural breeding". Furthermore, in recent years de Vries has been able to show through experiments that there is a complete leap-by-step change from one life form to another (mutation). This has also shaken what Darwinians regarded as a firm article of faith that animal and plant forms only changed gradually. More and more, the ground on which they had built for decades was simply disappearing from under their feet. Thinking researchers had already believed they had to abandon this ground earlier, such as W. H. Rolph, who died young and who declared in his book "Biological Problems, at the same time as an attempt to develop a rational ethics" as early as 1884: "Only through the introduction of insatiability does the Darwinian principle become acceptable in the struggle for life. For only now do we have an explanation for the fact that the creature, wherever it can, acquires more than it needs to maintain the status quo, that it grows in excess where the opportunity is given... Whereas for the Darwinist there is no struggle for existence wherever the existence of the creature is not threatened, for me the struggle is omnipresent. It is primarily a struggle for life, a struggle to increase life, but not a struggle for existence."
[ 8 ] It is only natural that in such a situation of facts the insightful should confess: The materialistic world of thought is not suitable for the construction of a world view. Based on it, we cannot say anything about mental and spiritual phenomena. And there are already numerous natural scientists today who are trying to build a world view based on completely different ideas. We need only recall the work of the botanist Reincke, "The World as Act". It is evident, however, that such naturalists have not been educated with impunity in purely materialistic ideas. What they put forward from their new idealistic standpoint is poor and can satisfy them for the time being, but not those who look deeper into the mysteries of the world. Such naturalists cannot make up their minds to approach those methods which proceed from the real contemplation of the spirit and the soul. They have the greatest fear of "mysticism", "gnosis" or "theosophy". This can be clearly seen, for example, in the above-mentioned writing by Verworn. He says: "It is fermenting in natural science. Things that seemed clear and transparent to everyone have become clouded today. Symbols and ideas that have been tried and tested for a long time and that everyone used and worked with at every turn until recently have begun to falter and are viewed with suspicion. Basic concepts, such as that of matter, appear to be shaken, and the firmest ground begins to sway under the steps of the natural scientist. Certain problems stand alone, rock-solid, on which all attempts, all efforts of natural science have so far foundered. At this realization, the despondent person throws himself resignedly into the arms of mysticism, which has always been the last refuge where the tortured mind saw no way out. The prudent man looks around for new symbols and tries to create new foundations on which he can continue to build." As you can see, the naturalist thinker of today is not in a position to form any other concept of "mysticism" than one that includes confusion and ambiguity of understanding. - and what conceptions of the life of the soul does such a thinker arrive at! We read at the end of the above-mentioned writing: "Prehistoric man had formed the idea of a separation of body and soul at the sight of death. The soul separated from the body and led an independent existence. It found no rest and returned as a spirit if it was not banished by sepulchral ceremonies. Fear and superstition frightened people. The remnants of these beliefs have survived to this day. The fear of death, i.e. of what will come afterwards, is still widespread today. - How different it all looks from the point of view of psychomonism! Since the psychic experiences of the individual only come about when certain, lawful connections exist, they fall away as soon as these connections are somehow disturbed, as already happens incessantly during the day. With the physical changes at death, these connections cease completely. Thus, no sensation and imagination, no thought and no feeling of the individual can exist any longer. The individual soul is dead. Nevertheless, the sensations and thoughts and feelings live on. They live on beyond the transient individual in other individuals, wherever the same complexes of conditions exist. They propagate from individual to individual, from generation to generation, from people to people. They work and weave on the eternal loom of the soul. They work on the history of the human spirit. - Thus we all live on after death as links in the great, interconnected chain of spiritual development." But is this any different from the continued life of the water wave in others, which it has raised, while it itself passes away? Does one truly live on if one only continues to exist in its effects? Do we not have such survival in common with all phenomena of physical nature? You see, the materialistic view of the world had to undermine its own foundations. It is not yet able to build new ones. Only the true understanding of mysticism, theosophy and gnosis will make this possible. Several years ago, the chemist Ostwald spoke of "overcoming materialism" at the natural scientists' meeting in Lübeck and founded a new journal of natural philosophy to achieve this goal. Natural science is ripe to receive the fruits of a higher world view. And all resistance will be of no use to it; it will have to take account of the needs of the yearning human soul.