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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Essays on Anthroposophy from the Journals “Lucifer” and “Lucifer-Gnosis” 1903-1908
GA 34

Automated Translation

55. On the Materialism that Appears to Have Been Overcome in Science

Today, many people who turn away from the so-called scientifically recognized points of view state as the reason that the materialistic views of this science cannot give them any nourishment for mind and heart. They demand an explanation of the nature of the soul; but science, they claim, completely denies the existence of the soul and regards it only as a phenomenon of bodily processes, just as it regards, for example, the advancing of the hands of a clock as the result of the clock mechanism. Now, the representatives of this “recognized” science object to such an assertion by saying that there can no longer be any talk of materialism in science today, that the age of Büchner and Vogt is long past. These “scientists” never tire of emphasizing that it would never occur to anyone who is currently at the cutting edge of research to subscribe to the old sentence: “The brain secretes thoughts like the liver secretes bile.” When Lehmann wrote his “History of Superstition” not long ago, he also addressed this fact. He said that many claim that spiritualism has only spread so rapidly because those striving deeper felt repelled by materialistic science. Now, however, Lehmann also believes that there can no longer be any talk of such materialism in science today. This accusation against science is therefore completely unjustified.

Now it is undoubtedly true that at present every scientifically minded person, unless he belongs to the veterans of Büchnerianism, regards the materialistic ideas of force and matter as obsolete, declares them to be hasty, etc. But is that what matters? Can those who demand an insight into the spiritual and the soul be satisfied with that? Certainly, the scientific facts that have been revealed to us in recent years make an interpretation of world phenomena in a materialistic sense quite impossible. Even the great stimuli of Darwinism are being completely transformed by new discoveries. And only very backward people, who still limit their knowledge to the botanical and zoological facts that were known fifteen years ago, can still escape a spiritual interpretation of life phenomena. Anyone who follows current germinal history, the findings regarding animal and plant life, the facts of cultural history and so on, as they have brought us in recent years, knows that this whole “scientific” approach must move quickly towards the spiritual-theosophical worldview if it does not want to lose itself completely. It will either have to admit its complete inability to contribute anything to the solution of the great questions of existence, that is, it will end up in complete ignorance, or it will automatically lead to gnosis and theosophy. The representatives of this latter world-view are only advanced posts, which already see which is the course of development of spiritual life. That they still find so little understanding stems solely from the fact that our contemporaries are hypnotized by the thought habits of the age that has just passed, and therefore cannot yet reconcile the old thoughts with the new facts.

The question is: even if the representatives of “recognized science” and their followers today assure us that they have “gone beyond” materialism, do they have anything to offer to those who are truly seeking the higher knowledge of spirit and soul? And this question must be answered in the most decided negative. You cannot satisfy a man by taking away from him; you must give something. Materialism, in spite of its limitations, gave its adherents something that the thinking man needs: a rounded world view. It was even an historical necessity in its time of appearance. For it was only natural that people hypnotized by the achievements of the purely material world should also seek the solution to the world's riddles in the laws of matter. But where should someone turn today who is seeking the same thing? To our philosophers and learned “soul researchers”? To Wundt, to Lipps, to Höffding? There he finds nothing but abstract ideas, rather empty concepts, formed under the influence of a self-overestimating and also overturning “science”. He finds nothing for mind and heart. These thinkers have developed their thinking habits on the purely material phenomena, and now look at the spiritual with these thinking habits. They lack what alone can give here: direct spiritual and mental experience. These spiritual movements are now called to give this in the present time. They do not want to refute “materialism” alone; they want to convey the knowledge of the spiritual from those trained in spiritual experience to their age.

55. Über den in der Wissenschaft Scheinbar Überwundenen Materialismus

Es wird heute von seiten vieler, welche sich von den sogenannten wissenschaftlich anerkannten Gesichtspunkten abwenden, als Grund davon angegeben, daß ihnen die materialistischen Anschauungen dieser Wissenschaftlichkeit keine Nahrung geben können für Geist und Herz. Sie verlangen nach einer Erklärung des Wesens der Seele; die Wissenschaft aber, so behaupten sie, leugne völlig das Dasein der Seele und betrachte sie nur als eine Erscheinung der körperlichen Vorgänge, wie sie zum Beispiel das Vorrücken der Ührzeiger als Ergebnis des Uhrmechanismus betrachte. Nun wird von den Vertretern dieser «anerkannten» Wissenschaftlichkeit einer solchen Behauptung entgegnet, daß von einem Materialismus in der Wissenschaft heute gar nicht mehr die Rede sein könne, daß das Zeitalter der Büchner und Vogt längst vorüber sei. Diese «Wissenschafter» werden nicht müde, zu betonen, daß es niemandem, der gegenwärtig auf der Höhe seiner Zeit und der Forschung stehe, einfallen könne, den alten Satz zu unterschreiben: «Das Gehirn sondere Gedanken ab, wie die Leber die Galle.» Als Lehmann, vor nicht langer Zeit, seine «Geschichte des Aberglaubens» schrieb, kam er auch auf diese Tatsache zu sprechen. Er sagte, daß viele behaupten, der Spiritismus habe nur deshalb eine so rasche Ausbreitung gefunden, weil sich die tiefer Strebenden von der materialistischen Wissenschaft abgestoßen fühlten. Nun könne aber, so meint auch Lehmann, heute gar nicht mehr von einem solchen Materialismus in der Wissenschaft gesprochen werden. Diese Anklage der Wissenschaft sei also völlig ungerechtfertigt.

Nun ist es zweifellos richtig, daß gegenwärtig jeder naturwissenschaftlich Denkende, wenn er nicht gerade zu den Veteranen des Büchnerianismus gehört, die materialistischen Kraft- und Stoffgedanken als zum alten Eisen gehörig betrachtet, daß er sie für Übereilungen erklärt usw. Kommt es aber darauf an? Können sich diejenigen damit für befriedigt erklären, die eine Erkenntnis des Geistigen und Seelischen verlangen? Gewiß: die naturwissenschaftlichen Tatsachen, die sich uns in den letzten Jahren enthüllt haben, machen eine Deutung der Welterscheinungen im materialistischen Sinne ganz unmöglich. Selbst die großen Anregungen des Darwinismus erfahren durch neue Entdeckungen eine völlige Umgestaltung. Und nur ganz rückständige Menschen, die ihr Wissen noch immer auf die botanischen und zoologischen Tatsachen beschränken, die man vor fünfzehn Jahren gekannt hat, können noch einer spirituellen Deutung der Lebenserscheinungen entrinnen. Wer die gegenwärtige Keimesgeschichte, die Befunde bezüglich des Tier- und Pflanzenlebens, die Tatsachen der Kulturgeschichte und so weiter, wie sie uns die letzten Jahre gebracht haben, verfolgt, der weiß, daß diese ganze « Wissenschaftlichkeit » mit schnellen Schritten der spirituell-theosophischen Weltanschauung zusteuern muß, wenn sie sich nicht völlig ins Leere verlieren will. Sie wird entweder ihre völlige Unfähigkeit zugestehen müssen, irgend etwas beizutragen zur Lösung der großen Daseinsfragen, daß heißt beim völligen Nichtwissen anlangen, oder aber sie wird ganz von selbst einmünden in die Gnosis und Theosophie. Die Vertreter dieser letztern Weltanschauung sind eben nur vorgeschobene Posten, die bereits einsehen, welcher der Gang der Entwickelung des Geisteslebens ist. Daß sie noch so wenig Verständnis finden, rührt einzig und allein davon her, daß unsere Zeitgenossen von den Denkgewohnheiten des eben abgelebten Zeitalters hypnotisiert sind, und deshalb die alten Gedanken noch nicht mit den neuen Tatsachen in Einklang bringen können.

Die Frage ist nur: wenn auch die Vertreter der «anerkannten Wissenschaftlichkeit» und ihre Nachbeter heute versichern, daß sie über den Materialismus «hinaus» seien: haben sie denen, die wirklich nach den höheren Erkenntnissen von Geist und Seele suchen, etwas zu bieten? Und diese Frage muß mit aller Entschiedenheit verneint werden. Man kann niemand dadurch befriedigen, daß man ihm etwas nimmt; man muß ihm etwas geben. Der Materialismus hat, trotz seiner Beschränktheit, seinen Bekennern etwas gegeben, was der denkende Mensch braucht: eine in sich gerundete Weltanschauung. Er war sogar in der Zeit, in der er aufgetreten ist, eine geschichtliche Notwendigkeit. Denn es war nur natürlich, daß die von den Errungenschaften in der rein materiellen Welt hypnotisierten Menschen auch in den Gesetzen der Materie die Lösung der Welträtsel suchten. Aber wohin soll sich heute wenden, wer ein Gleiches sucht? Etwa zu unseren Philosophen und gelehrten «Seelenforschern»? Zu Wundt, zu Lipps, zu Höffding? Da findet er nichts als abstrakte Vorstellungen, ziemlich leere Begriffe, die unter dem Einflusse einer sich selbst überschätzenden und auch überschlagenden «Wissenschaft» gebildet sind. Nichts findet er für Geist und Herz. Diese Denker haben ihre Denkgewohnheiten an den rein materiellen Erscheinungen herangebildet, und betrachten nun das Spirituelle mit diesen Denkgewohnheiten. Es fehlt ihnen, was einzig und allein hier etwas geben kann: die unmittelbare seelische und geistige Erfahrung. Diese zu geben sind nun die spirituellen Bewegungen in der Gegenwart berufen. Sie wollen nicht den «Materialismus» bloß widerlegen; sie wollen die Erkenntnisse des Geistigen aus den in geistiger Erfahrung Geschulten heraus ihrem Zeitalter vermitteln.