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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Essays on Anthroposophy from the Journals “Lucifer” and “Lucifer-Gnosis” 1903-1908
GA 34

Automated Translation

27. Is there Such a Thing as Chance?

Question: A reader has asked the following question: “Does theosophical teaching not recognize the concept of ‘chance’ at all? For example, I cannot imagine that it could be the karma of each individual if five hundred people perish in a ‘theatrical fire’.”

Answer: The laws of karma are so complex that no one should be surprised if some fact seems to contradict the general validity of this law. One must realize that this mind is initially trained in our physical world and that it is generally only accustomed to admitting what it has learned in this world. However, the karmic laws belong to higher worlds – in Germany it is customary to say “higher planes”. If, therefore, we wish to think of any event that befalls a human being as having a karmic effect, as we might think of the operation of a justice purely in earthly-physical life, we must necessarily encounter contradiction upon contradiction. We must realize that a common experience that befalls several people in the physical world can mean something quite different for each of them in the higher worlds. Of course, the opposite is also possible, that common karmic chains of events in common earthly experiences can have an effect. Only those who can see clearly in the higher worlds can say in detail what is at hand. If the karmic chains of five hundred people are realized in such a way that these people perish in a theater fire, then the following cases are possible, among others:

Firstly, the karmic chains of one of the five hundred people need have nothing to do with those of another of the victims. The common misfortune then relates to the karma of the individual persons in the same way as the shadow of fifty people on a wall relates to the thoughts and feelings of these persons. An hour ago, these fifty people may have had nothing in common; in an hour they may have many things in common again. What they experienced when they met in the same room will have a special effect on each of them. But their being together is expressed in the shadow image mentioned. However, anyone who wanted to draw any conclusions from this shadow image about a commonality of the people would be quite wrong.

Secondly, it is possible that the shared experience of the five hundred people has nothing to do with their karmic past, but that precisely through this shared experience something is being prepared that will bring them together karmically in the future. Perhaps these five hundred people will undertake a joint enterprise in the distant future, and the misfortune has brought them together for higher worlds. The experienced mystic is well aware that, for example, associations that are currently being formed owe their origin to the fact that the people who join together have experienced a common misfortune in the distant past.

Thirdly, such a case can really be the effect of previous joint guilt of the persons in question. But there are still countless other possibilities. For example, all three possibilities mentioned can be combined with each other, etc.

To speak of “chance” in the physical world is certainly not unjustified. And just as the sentence “There is no such thing as chance” is absolutely true when all the worlds are taken into consideration, so it would be unjustified to eliminate the word “chance” when we are merely talking about the concatenation of things in the physical world. Chance in the physical world is brought about by the fact that in this world things happen in sensory space. In so far as they take place in this space, they must also obey the laws of this space. In this space, however, externally things can come together that initially internally have nothing to do with each other. Just as my face is not really distorted because it appears distorted in an uneven mirror, so the causes that make a brick fall from the roof and damage me, as I happen to be passing by, have nothing to do with my karma, which comes from my past. The mistake that is made here is that many people imagine the karmic connections to be too simple. They assume, for example, that if a brick has damaged this person, he must have earned this damage karmically. But this is by no means necessary. In the life of every person, events occur continually that have absolutely nothing to do with his merit or guilt in the past. Such events find their karmic compensation in the future. What happens to me today through no fault of my own, I will be compensated for in the future. One thing is certain: nothing remains without karmic compensation. But whether an experience of a person is the effect of his karmic past or the cause of a karmic future: this must first be determined in detail. And this cannot be decided by the mind accustomed to the physical world, but only by occult experience and observation.

27. Gibt es einen Zufall?

Frage: In einer Zuschrift aus dem Leserkreise ist folgende Frage enthalten: «Läßt denn die theosophische Lehre gar keinen «Zufall» gelten? Ich kann mir zum Beispiel nicht denken, daß es im Karma jedes einzelnen liegen kann, wenn bei einem 'Theaterbrande fünfhundert Menschen zusammen zugrunde gehen.»

Antwort: Die Gesetze des Karma sind so verwickelt, daß es niemanden wundern sollte, wenn irgendeine Tatsache zunächst dem menschlichen Verstande in Widerspruch mit der allgemeinen Gültigkeit dieses Gesetzes zu sein scheint. Man muß sich eben durchaus klar machen, daß dieser Verstand zunächst an unserer physischen Welt geschult ist, und daß er im allgemeinen nur gewöhnt ist, das zuzugeben, was er in dieser Welt gelernt hat, Nun gehören aber die karmischen Gesetze durchaus höheren Welten an — in Deutschland ist es üblich, «höheren Ebenen» zu sagen. - Will man daher irgendein Vorkommnis, das den Menschen trifft, karmisch so bewirkt denken, wie man sich etwa das Walten einer Gerechtigkeit rein im irdisch-physischen Leben denkt, so muß man notwendig auf Widerspruch über Widerspruch stoßen. Man muß sich klar machen, daß ein gemeinsames Erlebnis, das mehrere Menschen in der physischen Welt trifft, für jeden einzelnen von ihnen in den höheren Welten etwas durchaus Verschiedenes bedeuten kann. Natürlich ist auch das Umgekehrte nicht ausgeschlossen, daß sich gemeinsame karmische Verkettungen in gemeinsamen irdischen Erlebnissen zur Wirkung bringen. Nur wer in höheren Welten klar zu sehen vermag, kann im einzelnen sagen, was vorliegt. Wenn sich die karmischen Verkettungen von fünfhundert Menschen so ausleben, daß diese Menschen bei einem Theaterbrande zugrunde gehen, dann sind unter anderem folgende Fälle möglich:

Erstens: Es brauchen die karmischen Verkettungen keines einzigen der fünfhundert Menschen mit denen eines anderen der Verunglückten etwas zu tun zu haben. Das gemeinsame Unglück verhält sich dann zu den Karmen der einzelnen Personen, wie sich etwa das Schattenbild von fünfzig Personen auf einer Wand zu den Gedanken- und Empfindungswelten dieser Personen verhält. Vor einer Stunde hatten vielleicht diese fünfzig Personen nichts Gemeinsames; in einer Stunde werden sie vielleicht wieder zichzs Gemeinsames haben. Was sie bei ihrem Zusammentreffen im gemeinsamen Raume erlebt haben, wird für jeden seine besondere Wirkung haben. Ihr Zusammensein aber drückt sich in dem genannten gemeinsamen Schattenbilde aus. Wer aber aus diesem Schattenbilde irgend etwas schließen wollte für eine Gemeinsamkeit der Personen, würde recht fehl gehen.

Zweitens: Es ist möglich, daß das gemeinsame Erlebnis der fünfhundert Personen gar nichts mit deren karmischer Vergangenheit zu tun hat, daß sich aber gerade durch dieses gemeinsame Erlebnis etwas vorbereitet, was sie in der Zukunft karmisch zusammenführt. Vielleicht werden diese fünfhundert Personen in fernen Zeiten zusammen eine gemeinsame Unternehmung ins Werk setzen, und durch das Unglück sind sie für höhere Welten zusammengeführt worden. Dem erfahrenen Mystiker ist es durchaus bekannt, daß zum Beispiel Vereine, die sich gegenwärtig bilden, ihren Ursprung dem Umstande verdanken, daß die Menschen, die sich zusammentun, in einer fernen Vergangenheit ein gemeinsames Unglück erlebt haben.

Drittens: Es kann wirklich ein solcher Fall die Wirkung früherer gemeinsamer Verschuldungen der in Betracht kommenden Personen sein. Dabei sind aber noch unzählige andere Möglichkeiten vorhanden. Es können zum Beispiel alle drei angeführten Möglichkeiten miteinander kombiniert sein usw.

In der physischen Welt von «Zufall» sprechen, ist gewiß nicht unberechtigt. Und so unbedingt der Satz gilt: «Es gibt keinen Zufall», wenn man alle Welten in Betracht zieht, so unberechtigt wäre es, das Wort « Zufall» auszumerzen, wenn bloß von der Verkettung der Dinge in der physischen Welt die Rede ist. Der Zufall in der physischen Welt wird nämlich dadurch herbeigeführt, daß sich in dieser Welt die Dinge im sinnlichen Raume abspielen. Sie müssen, insofern sie sich in diesem Raume abspielen, auch den Gesetzen dieses Raumes gehorchen. In diesem Raume aber können äußerlich Dinge zusammentreffen, die zunächst innerlich nichts miteinander zu tun haben. Sowenig mein Gesicht wirklich verzerrt ist, weil es sich in einem unebenen Spiegel verzerrt zeigt, so wenig brauchen die Ursachen, die einen Ziegelstein vom Dache fallen lassen, der mich, als gerade Vorübergehenden, beschädigt, mit meinem Karma, das aus meiner Vergangenheit stammt, etwas zu tun zu haben. - Der Fehler, der da gemacht wird, besteht darinnen, daß viele sich die karmischen Zusammenhänge zu einfach vorstellen. Sie setzen zum Beispiel voraus: wenn diesen Menschen ein Ziegelstein beschädigt hat, so muß er sich diese Beschädigung karmisch verdient haben. Dies ist aber durchaus nicht notwendig. Im Leben eines jeden Menschen treten fortwährend Ereignisse auf, die mit seinem Verdienst oder seiner Schuld in der Vergangenheit durchaus nichts zu tun haben. Solche Ereignisse finden ihren karmischen Ausgleich eben in der Zukunft. Was mir heute unverschuldet zustößt, dafür werde ich in der Zukunft entschädigt. Das eine ist richtig: nichts bleibt ohne karmischen Ausgleich. Ob aber ein Erlebnis des Menschen die Wirkung seiner karmischen Vergangenheit oder die Ursache einer karmischen Zukunft ist: das muß im einzelnen erst festgestellt werden. Und das kann nicht durch den an die physische Welt gewöhnten Verstand, sondern lediglich durch die okkulte Erfahrung und Beobachtung entschieden werden.