Collected Essays on Cultural and Contemporary History 1887–1901
GA 31
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118. Prof. Dr. Friedrich Kirchner “Grunddeutschland”
A journey through the most recent German poetry
A well-intentioned book lies before us. The "greens" of our modern literature are bravely read without throwing the baby out with the bathwater. It is readily acknowledged that there is some good in the modern Musenalmanachen alongside the most ghastly barbarism and the rhymed and unrhymed silliness and dullness. We must also give the author credit for having the courage to tell the Suder and other men what he thinks of the value of their plays and writings, towards whom any reasonable judgment almost fades away like the voice of one crying in the wilderness, because it is drowned out by the bluster of those who proclaim themselves modern aesthetes without a trace of understanding of art. All this is to be highly praised. Nevertheless, the book does not seem to me to be pursuing the right purpose as required by the circumstances. A generation that is taught next to nothing about a higher view of life and the world cannot help but become superficial. Our universities and secondary schools, with their materialistic view of nature, their systemless accumulation of empirical facts and their aesthetic-less literary history, are no counterweight to the neglected aesthetic undercurrents and the uneducated grandiloquence of the "Greens". The generation that studied Vischer and Carriere or Rosenkranz and Schasler in order to find a clear expression for its dull aesthetic sensibilities has outlived itself. Their teachings brought out what was deep in one's own soul for a light-filled self-understanding. Today, we take the critical fidgeting of a Hermann Bahr seriously, indeed we are forced to condescend to such actions. This is a consequence of the decline in our education. There are still a few older people who know what art is, and a few younger people who cannot be converted to the belief that the world must take a new course every day. The education of everyone else is in a bad way. A superficial fashionable science has taught them to believe that "true" is only that which dazzles the eyes, and especially that which stinks in the nose. No wonder that all they know about "singing and saying" is made-up prostitute faces and that certain stench that results when perfume and... harmoniously intermingle. Those who do not know that they can be shamefully lied to by reality believe they are telling the truth when they parrot the most miserable lies of existence. To see the truth, the eye must be sharpened from within. There was a time when people wanted to grasp this inner being with living content. Today it is despised as an idealism that flies over reality. It may be that Fichte, Schelling and Hegel taught errors from our point of view. Then we should try to overcome them and improve them in line with the times. But do not say that today is no time for a summary of the empirical and factual. The time that does not have the strength for this brings forward greats such as Sudermann, the time to which Kant and Fichte gave their signature, Schiller and Goethe.118. Prof. Dr. Friedrich Kirchner «Gründeutschland»
Ein Streifzug durch die jüngste deutsche Dichtung
Ein gutgemeintes Buch liegt vor uns. Den «Grünen» unserer modernen Literatur wird wacker der Text gelesen, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten. Daß neben der schauderhaftesten Widerkunst und dem gereimten und ungereimten Blöd- und Stumpfsinn manches Gute in den modernen Musenalmanachen steht, wird bereitwilligst anerkannt. Wir müssen es auch dem Verfasser zugute halten, daß er den Mut hat, den Suder- und anderen Männern zu sagen, wie er über den Wert ihrer Stücke und Schriften denkt, denen gegenüber jedes vernünftige Urteil nachgerade wie die Stimme des Rufenden in der Wüste verklingt, weil sie übertönt wird von dem Geplärre derer, die sich, ohne eine Spur von Kunstverständnis zu besitzen, zu modernen Ästhetikern ernennen. Das alles ist aufs höchste zu loben. Dennoch scheint mir das Buch nicht den richtigen, durch die Verhältnisse gebotenen Zweck zu verfolgen. Eine Generation, der von höherer Lebens- und Weltauffassung so gut wie gar nichts beigebracht wird, kann nicht anders als oberflächlich werden. Unsere Universitäten und höheren Schulen mit ihrer materialistischen Naturauffassung, ihrem systemlosen Aufhäufen von empirischen Tatsachen und ihrer ästhetiklosen Literaturgeschichte sind kein Gegengewicht gegen die verwahrlosten ästhetischen Unterströmungen und die bildungslose Großmannssucht der «Grünen». Das Geschlecht hat sich überlebt, in der man die Vischer und Carriere, oder die Rosenkranz und Schasler studierte, um für seine dumpfen ästhetischen Empfindungen einen klaren Ausdruck zu finden. Ihre Lehren holten das, was tief in der eigenen Seele sitzt, hervor zur lichtvollen Selbstverständigung. Heute nimmt man das kritische Gezappel eines Hermann Bahr ernst, ja ist gezwungen, sich zu solchem Tun herabzulassen. Das ist eine Folge des Rückganges unserer Bildung. Einige wenige ältere Leute sind noch da, die wissen, was Kunst ist, und einige jüngere, die sich einmal nicht zu dem Glauben bekehren können, daß die Welt just jeden Tag einen neuen Kurs haben muß. Mit der Bildung aller anderen ist es übel bestellt. Eine oberflächliche Modewissenschaft hat ihnen den Glauben beigebracht, daß «wahr» nur ist, was die Augen blendet, und namentlich, was in die Nase stinkt. Kein Wunder, daß sie auch zu «singen und zu sagen» nur wissen von geschminkten Dirnengesichtern und jenem gewissen Gestank, der resultiert, wenn Parfüm und... harmonisch sich durchdringen. Wer nicht weiß, daß er von der Wirklichkeit schmählich angelogen werden kann, glaubt eben die Wahrheit zu sagen, wenn er die elendesten Daseinslügen nachplappert. Die Wahrheit zu sehen, muß das Auge von innen heraus geschärft werden. Es gab eine Zeit, wo man dieses Innere mit lebendigem Gehalt erfassen wollte. Sie wird heute als ein die Wirklichkeit überfliegender Idealismus verachtet. Es mag sein, daß die Fichte, Schelling und Hegel von unserem Standpunkte aus Irrtümer gelehrt haben. Dann suche man sie zu überwinden und zeitgemäß zu verbessern. Aber. man sage nicht: heute sei keine Zeit zu einer Zusammenfassung des Empirisch-Tatsächlichen. Die Zeit, die dazu nicht die Kraft hat, bringt Größen wie Sudermann her vor, jene, der Kant und Fichte die Signatur gaben, Schiller und Goethe.