Collected Essays on Cultural and Contemporary History 1887–1901
GA 31
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114. Eduard Kulke “On the History of the Development of Opinions”
When we read the title of this book, we were very pleased. Today we know to a greater extent than in the past that there is a wide field in the realm of human opinions that is subject to constant change in historical development. Friedrich Nietzsche, in his grotesque, nervous and therefore exciting and stimulating way, has made wide circles illogically but effectively aware of this. A history of the development of opinions would now have to show by which laws the changes in human views are brought about, in the same sense as natural science seeks to determine the laws of the transformation of one organic form into another, or history that of one state into another. Of course, we find little of all this in Kulke's book. All that is said about the formation of opinions is that instinct is the source of common opinion, and imagination the source of opinions that differ among individuals and peoples. The needs created by instinct are the same for a multitude of people inhabiting the same region. There is no dispute about the best way to satisfy them. What, on the other hand, is removed from this area is seized by the imagination, and this works differently in different people. In a rather broad way, the text shows how opinions differ with regard to political, economic, social, artistic, religious and scientific matters. Instead of examining the laws according to which one develops out of the other, the author considers how the changing opinions are ultimately transformed into fixed knowledge, into practically incontestable maxims. In his view, this correction is carried out with regard to theoretical opinions at the moment when they become the result of a science and are supported within it by incontestable evidence. With ethical maxims, however, the transition from changeability to permanence takes place when the state formulates them in such a way that the best concern for the common good is combined with the freest mobility of individuality. Thus Kulke has actually only determined the beginning and end points in the history of the development of opinions, but has left the middle, i.e. precisely the area where the laws for the eternal metamorphosis of opinions should be found, completely untouched. The content of this book therefore does not deliver what the title promises.
114. Eduard Kulke «Zur Entwicklungsgeschichte der Meinungen»
Als wir den Titel dieser Schrift lasen, freuten wir uns sehr. Wir wissen heute in höherem Maße als früher, daß ein weites Feld im Reich der menschlichen Anschauungen liegt, das einem fortwährenden Wandel in der geschichtlichen Entwicklung unterworfen ist. Friedrich Nietzsche hat es in seiner grotesken, nervösen und deshalb auf- und anregenden Weise weiten Kreisen unlogisch aber wirksam zum Bewußtsein gebracht. Eine Entwicklungsgeschichte der Meinungen müßte nun zeigen, von welchen Gesetzen die Veränderungen der menschlichen Anschauungen bewirkt werden, in dem Sinne wie etwa die Naturwissenschaft die Gesetze der Verwandlung einer organischen Form in die andere oder die Geschichte die eines Staates in den andern festzustellen sucht. Von alledem finden wir freilich in Kulkes Buch wenig. Über ' die Entstehung der Meinungen wird nur gesagt, daß der Instinkt die Quelle gemeinsamer, die Phantasie jene der bei Individuen und Völkern differierenden Ansicht sei. Die Bedürfnisse, die der Instinkt schafft, sind bei einer Menge von Menschen, die dieselbe Gegend bewohnen, dieselben. Über die beste Weise, sie zu befriedigen, entsteht kein Streit. Was dagegen diesem Gebiete entzogen ist, dessen bemächtigt sich die Phantasie, und die wirkt bei verschiedenen Menschen verschieden. In ziemlich breiter Art zeigt nun die Schrift, wie die Meinungen in bezug auf politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, künstlerische, religiöse, wissenschaftliche Dinge voneinander abweichen. Statt nun zu untersuchen, nach welchen Gesetzen sich die eine aus der andern herausentwickelt, stellt der Verfasser Erwägungen darüber an, wodurch zuletzt sich die veränderlichen Meinungen in feste Erkenntnisse, in praktisch unanfechtbare Maximen verwandeln. Diese Korrektur wird, nach seiner Ansicht, in bezug auf die theoretischen Meinungen in dem Augenblicke vollzogen, in welchem sie Resultat einer Wissenschaft werden und innerhalb derselben durch unanfechtbare Beweise gestützt werden. Mit den ethischen Maximen aber vollzieht sich der Übergang von der Wandelbarkeit zur Dauer dann, wenn der Staat sie in der Weise formuliert, daß mit der besten Sorge für das Gesamtwohl sich die freieste Beweglichkeit der Individualität verbindet. So hat Kulke eigentlich nur Anfangs- und Endpunkt in der Entwicklungsgeschichte der Meinungen bestimmt, die Mitte aber, also gerade das Gebiet, wo sich die Gesetze für die ewige Metamorphose der Ansichten finden lassen müßte, völlig unberührt gelassen. Der Inhalt dieser Schrift hält also nicht, was der Titel verspricht.