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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Cultural and Contemporary History 1887–1901
GA 31

Automated Translation

110. Letter from Rudolf Steiner to Elisabeth Förster-Nietzsche

Berlin, June 27, 1898 Dear Madam!

The weeks that have passed since I was once again allowed to visit the Nietzsche Archive - after a long time - have brought me many worries and excitements; and with these I ask you, dear madam, to excuse the fact that I am only able to follow up on the previous discussion today. From information given to me by my dear friend Dr. Heitmüller, I see how you, madam, currently feel about the matter.

You will certainly believe in my enthusiasm for the great cause of Friedrich Nietzsche, dear madam, and you yourself have often spoken such beautiful words to me about my understanding of his art and his teaching that I was deeply moved. I have now suffered deeply since those unfortunate days, which will remain in the memory of all concerned. You may believe me, madam, that it is not at all in my nature to bring my personal interests into the great affair that has become yours through the leadership of your brother's cause. You know, madam, how satisfied I was with the secondary role I was given for a time. At that time I did not feel called upon to assert dissenting views, because I considered it my duty to do nothing against existing rights. But you, dear madam, know best of all that I myself contributed nothing to the role which circumstances then forced upon me. The pain of which I spoke was increased by a special circumstance. Surely you remember our conversation - I think it was in the late summer of '96 - about the "eternal return". At that time we arrived at an idea about this doctrine which I should have developed and defended; then this doctrine would have become a subject of discussion in the widest circles today. I am infinitely sorry that such things, which I believe lie in the direction of my talent, but which I could and should only have done with your constant support, were not done by me. The volume in which the Return of the Same is found should have become an event in Nietzsche literature. You may believe me, madam, that it is infinitely difficult for me to be so distant from the cause of Friedrich Nietzsche now. I felt the pain renewed in your last beautiful letter in the "Zukunft".

I would like to return once again to messages that my dear and highly esteemed friend Heitmüller sent me. You seem, dear madam, to doubt my courage. I assure you that I will not lack courage in a matter that is so close to my heart. And from the unreserved frankness with which I speak here, may you, madam, draw the proof of how seriously I take this matter, how it is linked to my innermost thoughts, feelings and will.

No matter how one may judge my talent: I am deeply rooted in the way of thinking that has found such a grandiose expression through Friedrich Nietzsche, and therefore feel able to contribute my mite to the spread of his art and teachings. I did this myself only recently on the occasion of a lecture I gave in the city of Kant, in Königsberg. The people of Königsberg were unable to suppress their slight displeasure, but afterwards a few clever people confessed to me that the good people of Königsberg only have the understanding for their Kant to gather every year on his birthday and eat their lunch dishes, which are popular in Königsberg. There is no toast because the people of Königsberg don't know what to say about Kant.

May these words of mine show you, madam, that nothing has changed in my nature and that I will always be able to uphold the words that I often said to you in the good, happy hours before the unfortunate events. How can we better honor and understand Friedrich Nietzsche than that we, who believe we have the talents to do so, do our part to spread his ideas? I would consider it an abandonment of myself if I acted otherwise. I am and will always have the strength and courage to stand up for his cause.

With heartfelt respect, yours sincerely

Rudolf Steiner
Berlin W., Habsburgerstr. 11 I.

110. Brief Rudolf Steiners an Elisabeth Förster-Nietzsche

Berlin, 27. Juni 1898 Hochgeschätzte gnädige Frau!

Die Wochen, die verflossen sind, seit ich — nach langer Zeit — wieder einmal im Nietzsche-Archiv weilen durfte, haben mir viele Sorgen und Aufregungen gebracht; und mit diesen bitte ich Sie, hochgeschätzte gnädige Frau, zu entschuldigen, daß ich erst heute imstande bin, an die damalige Besprechung anzuknüpfen. Aus Mitteilungen, die mir mein lieber Freund Dr. Heitmüller macht, ersehe ich, wie Sie, gnädige Frau, gegenwärtig über die Sache denken.

An meine Begeisterung für die große Sache Friedrich Nietzsches werden Sie, hochgeschätzte gnädige Frau, gewiß glauben, und über mein Verständnis seiner Kunst und seiner Lehre haben Sie mir selbst oft so schöne Worte gesagt, daß ich tief ergriffen war. Ich habe nun seit jenen unglückseligen Tagen, die allen Beteiligten in Erinnerung bleiben werden, tief gelitten. Sie dürfen mir glauben, gnädige Frau, daß es ganz und gar nicht in meinem Wesen liegt, meine persönlichen Interessen in die große Angelegenheit hineinzubringen, die Ihnen durch die Führung der Sache Ihres Bruders geworden ist. Sie wissen, gnädige Frau, wie sehr ich zufrieden war mit der nebensächlichen Rolle, die mir eine Zeitlang beschieden war. Ich fühlte mich damals nicht berufen, abweichende Ansichten geltend zu machen, weil ich gegen bestehende Rechte nichts tun zu dürfen als meine Pflicht ansah. Sie, hochgeschätzte gnädige Frau, wissen es aber auch am allerbesten, daß ich selbst nichts beigetragen habe zu der Rolle, die mir die Verhältnisse dann aufgedrängt haben. Der Schmerz, von dem ich sprach, wurde noch durch einen besonderen Umstand vermehrt. Gewiß erinnern Sie sich an unser Gespräch - ich glaube, es war im Spätsommer 96 — über die «ewige Wiederkunft». Wir haben damals eine Vorstellung über diese Lehre zustande gebracht, die ich hätte ausbilden und vertreten müssen; dann wäre heute diese Lehre ein Diskussionsgegenstand in weitesten Kreisen geworden. Es ist mir unendlich leid, daß solche Dinge, die, wie ich glaube, in der Richtung meines Talentes liegen, die ich aber nur mit Ihrem steten Beistand hätte machen können und dürfen, nicht von mir gemacht worden sind. Der Band, in dem die Wiederkunft des Gleichen steht, hätte müssen zu einem Ereignis in der Nietzsche-Literatur werden. Sie dürfen mir glauben, gnädige Frau, daß es mir unendlich schwer ist, der Sache Friedrich Nietzsches jetzt so fernzustehen. Ich habe den Schmerz erneuert gefühlt bei Ihrem letzten schönen Briefe in der «Zukunft».

Ich möchte noch einmal auf Mitteilungen zurückkommen, die mir mein lieber und von mir hochgeschätzter Freund Heitmüller gemacht hat. Sie scheinen, hochgeschätzte gnädige Frau, an meinem Mut zu zweifeln. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich es nicht an Mut fehlen lassen werde in einer Angelegenheit, die mir so auf dem Herzen liegt. Und aus der rückhaltlosen Offenheit, mit der ich hier spreche, mögen Sie, gnädige Frau, den Beweis schöpfen, wie sehr ernst mir diese Sache ist, wie verknüpft sie mit meinem innersten Denken, Fühlen und Wollen ist.

Gleichviel, wie man über meine Begabung urteilen möge: ich bin innig verwachsen mit der Vorstellungsart, die durch Friedrich Nietzsche einen so grandiosen Ausdruck gefunden hat, und fühle mich deshalb imstande, zur Ausbreitung seiner Kunst und Lehre mein Scherflein beizutragen. Ich habe dies selbst erst kürzlich gelegentlich eines Vortrags getan, den ich in der Stadt Kants, in Königsberg, gehalten habe. Die Königsberger haben dabei zwar einen leisen Unwillen nicht unterdrücken können; nachher aber haben mir doch ein paar Gescheitere gestanden, daß die guten Königsberger für ihren Kant nur mehr das Verständnis haben, jedes Jahr an seinem Geburtstage sich zu versammeln und ihre - in Königsberg beliebten - Mittagsgerichte zu essen. Ein Toast wird dabei nicht gehalten, weil die Königsberger nicht wissen, was sie über Kant sagen sollen.

Möchten Ihnen, gnädige Frau, diese meine Worte zeigen, daß sich in meinem Wesen nichts geändert hat und daß ich jederzeit werde die Worte aufrecht erhalten können, die ich Ihnen oft in den guten, schönen Stunden vor den unglückseligen Ereignissen gesagt habe. Wie können wir Friedrich Nietzsche besser ehren und verstehen, als daß wir, die wir glauben, dazu die Talente zu haben, zur Ausbreitung seiner Ideen das unsrige tun? Ich würde es als ein Aufgeben meiner selbst betrachten, wenn ich anders handelte. Ich bin und werde immer für seine Sache einzustehen Kraft und Mut haben.

In herzlicher Hochachtung Ihr ergebener

Rudolf Steiner
Berlin W., Habsburgerstr. 11 I.