Collected Essays on Cultural and Contemporary History 1887–1901
GA 31
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9. Essays from "Deutsche Wochenschrift"
The Week of February 22-29, 1888
The news from San Remo over the last few days has been difficult and sad, perhaps all the sadder because it leaves in half darkness what we suspect and fear. The official announcements are mostly limited to external or general matters, while private reports, which are attributed to the circle of doctors treating the crown prince, unfortunately severely shake the hope that one believed to be justified after the favorable news from the first days of this month and even after the happiest operation of the tracheotomy. As a result, the mood among the population of the German Empire is extraordinarily depressed, and even far beyond the borders of the Empire there is an outpouring of sorrow for the noble prince, who is the pride of his fatherland, his nation. It is said that Emperor Wilhelm has recently expressed the firm wish that his son should return to Berlin, but there is no definite confirmation of this report, which is in itself disastrous.
The deep shock that Frederick William's suffering has caused in the hearts of all Germans has also greatly diminished their interest in the course of major politics. People have only become more pessimistic, and the deep mistrust of Russia is expressed in a fall in the rouble exchange rate, which is almost tantamount to a financial catastrophe for the Tsarist Empire. On February 27, 100 gold roubles cost 198.7 paper roubles on the Berlin stock exchange, and a further fall is predicted. All the appeals for reassurance from official and semi-official sources in St. Petersburg are in vain. Russia is arming itself, and - so says the stock exchange - since it has not managed to raise a loan and yet needs and spends money, lots of money, the ruble press is at work. So we end up in a new age of assignats at the centenary of the French Revolution! And just as Russia is drifting towards a serious financial crisis, the past week has also brought it a political defeat, or at least a disappointment. In order to get out of the impasse into which it had got itself with regard to Bulgaria, it suggested to the powers that they should all "collectively" call upon the Sultan to declare to Prince Ferdinand that he was in Bulgaria illegally and that his accession to the throne was contrary to the treaty. Germany and France supported Mr. von Nelidov's move in this regard at the Porte, while England, Italy and Austria-Hungary remained silent, whereupon the Porte also initially withdrew into diplomatic silence. Thus the Bulgarian question continued to move in the same circles in which it had been drifting for a year and a half. Europe is still suffering too much from the weakness of the treaty to simply recognize the de facto acquis. In the meantime, the birthday of the young Prince Ferdinand on the 26th was celebrated by the Bulgarians with enthusiastic demonstrations. They wanted to keep him, and they were right to do so!
In the Prussian House of Deputies, Dr. Windthorst demonstrated a little for his Austrian comrade-in-arms, Prince Liechtenstein, with an ecclesiastical school supervision motion. The petitioner himself hardly believes it will have any effect, and he will hardly succeed in matching Liechtenstein's effect. The bigger stupidities always have the greater effect. And one mocking bird said that Prince Alois was only interested in stirring up political life in Austria for once. Well, that has happened, but the young aristocrat's head must be spinning. The liberal party owed him a special debt of gratitude and laid it down on the table of the House in countless petitions against the new school proposal, which arrived in the Imperial Council from all sides.
On February 27, the Pope received a large German deputation, which presented him with an address of congratulations and homage, and took the opportunity to emphasize anew the old demands of the Holy See.
Aufsätze aus «Deutsche Wochenschrift»
Die Woche, 22.-29. Februar 1888
Es sind schwere und traurige Nachrichten aus San Remo, welche uns die letzten Tage gebracht haben, um so trauriger vielleicht gerade deshalb, weil sie in halbem Dunkel lassen, was man ahnt und fürchtet. Die amtlichen Kundgebungen beschränken sich meistens auf äußere oder allgemeine Dinge, während private Meldungen, die auf den Kreis der den Kronprinzen behandelnden Ärzte zurückgeführt werden, leider die Hoffnung schwer erschüttern, welche man nach den günstigen Nachrichten aus den ersten Tagen dieses Monats und selbst nach der glücklichst vollzogenen Operation der Tracheotomie hegen zu dürfen sich berechtigt glaubte. Infolgedessen ist die Stimmung in der Bevölkerung des Deutschen Reichs eine außerordentlich gedrückte, und auch weit über die Grenzen desselben hinaus zeigt sich eine wehmutsvolle Teilnahme für den edlen Prinzen, welcher der Stolz seines Vaterlandes, seiner Nation ist. Es verlautet, daß Kaiser Wilhelm neuerdings den entschiedenen Wunsch geäußert habe, daß sein Sohn nach Berlin zurückkehre, doch fehlt eine sichere Bestätigung dieser schon an und für sich verhängnisvollen Meldung.
Die tiefe Erschütterung, welche das Leiden Friedrich Wilhelms in den Herzen aller Deutschen hervorgerufen, hat auch die Teilnahme für den Verlauf der großen Politik stark herabgedrückt. Nur pessimistischer ist man geworden, und das tiefe Mißtrauen gegen Rußland findet seinen Ausdruck in einem Sinken des Rubelkurses, der nahezu einer finanziellen Katastrophe für das Zarenreich gleichkommt. Für 100 Goldrubel zahlte man am 27. Februar an der Berliner Börse 198,7 Papierrubel, und noch ein weiterer Sturz wird vorhergesagt. Vergebens sind alle Beruhigungsrufe, welche von amtlicher und halbamtlicher Seite von Petersburg her versucht werden. Rußland rüstet, und - so sagt die Börse — da es keine Anleihe zustande gebracht hat und doch Geld, viel Geld braucht und ausgibt, so arbeitet - die Rubelpresse. Da kommen wir am Ende zur hundertjährigen Feier der Französischen Revolution in ein neues Zeitalter der Assignaten! Und wie Rußland finanziell einer schweren Krise entgegentreibt, so hat auch politisch die abgelaufene Woche ihm eine Niederlage oder zum mindesten eine Enttäuschung gebracht. Es hat, um aus der Sackgasse, in welche es sich mit Bezug auf Bulgarien verrannt hat, herauszukommen, bei den Mächten angeregt, daß alle «kollektiv» den Sultan auffordern sollten, dem Fürsten Ferdinand zu erklären, daß er sich unrechtmäßig in Bulgarien befinde, und daß seine Thronbesteigung eine vertragswidrige sei. Deutschland und Frankreich haben den diesbezüglichen Schritt des Herrn von Nelidow bei der Pforte unterstützt, England, Italien und Österreich-Ungarn dagegen nichts von sich hören lassen, worauf die Pforte sich ebenfalls zunächst in diplomatisches Schweigen zurückzog. So bewegt sich die bulgarische Frage weiter in dem Kreise, in welchem sie nun seit eineinhalb Jahren herumtreibt. Um zu einer einfachen Anerkennung des faktischen Besitzstandes zu gelangen, leidet Europa noch zu sehr an verhaltener Vertragsschwäche. Inzwischen wurde der Geburtstag des jungen Fürsten Ferdinand am 26. unter enthusiastischen Kundgebungen von den Bulgaren gefeiert. Sie wollen ihn behalten, und sie tun recht daran!
Im Preußischen Abgeordnetenhause demonstrierte Herr Dr. Windthorst mit einem kirchlichen Schulaufsichtsantrage eine wenig für seinen Österreichischen Gesinnungsgenossen, den Prinzen Liechtenstein. An eine Wirkung glaubt der Antragsteller selbst kaum, und es wird ihm auch schwerlich gelingen, es dem Liechtenstein an Effekt gleichzutun. Die größeren Dummheiten erregen stets die größere Wirkung. Und ein Spottvogel meinte, es sei eigentlich dem Fürsten Alois nur darum zu tun gewesen, das politische Leben in Österreich einmal etwas aufzumischen. Nun, das ist geschehen, aber der Kopf dürfte dem jungen Aristokraten brummen. Die liberale Partei ist ihm zu besonderem Danke verpflichtet und legt denselben in zahllosen Petitionen gegen den neuen Schulantrag, die im Reichsrate von allen Seiten einlaufen, auf den Tisch des Hauses nieder.
Der Papst empfing am 27. Februar eine große deutsche Deputation, welche ihm eine Glückwunsch- und Huldigungsadresse überreichte, und nahm die Gelegenheit wahr, die alten Forderungen des Heiligen Stuhls aufs neue entschieden zu betonen.