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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Philosophy, Science, Aesthetics and Psychology 1884–1901
GA 30

Automated Translation

68. Rudolf Heidenhain
Died on October 13, 1897

Describing the significance of the physiologist Rudolf Heidenhain, who died a few days ago, for his discipline is not one of the tasks of this weekly publication. However, it should not remain unconsidered that Heidenhain's work was carried out in the Wroclaw University Laboratory, which is important for anyone who has a need for a general understanding of the world. In our age of specialization, the results of scholarly individual work do not easily penetrate the general consciousness of the educated. It is partly due to this circumstance that Heidenhain's investigations into the life of the cell have not had the influence on our modern world view that they should have had by their very nature. However, there is something else that I will mention later.

Our view of nature clearly strives towards the goal of explaining the life of organisms according to the same laws. organisms according to the same laws by which the phenomena of inanimate nature must also be explained. Mechanical, physical and chemical laws are sought in the animal and plant body. The same kind of laws that govern a machine should also be at work in the organism, only in an infinitely complicated and difficult to recognize form. Nothing should be added to these laws to make the phenomenon we call life possible. They are supposed to be able to do it alone in a manifold concatenation. This mechanistic view of the phenomena of life is gaining more and more ground. However, it will never satisfy those who are capable of taking a deeper look at natural processes. Such a person will recognize that laws of a higher order are at work in the organism than in lifeless nature. It will become clear to him that only he who does not see such laws can deny them. The person who sees more deeply will not like to argue with anyone about the laws of organic life, just as the person who sees colors will not argue with the color-blind person about colors. Such a deep seer knows that even in the smallest cell laws of a higher kind are at work than in the machine.

Through investigations such as Heidenhain's, the ideas about special laws of organisms gain specific content in detail. This researcher has shown that the cells of the salivary glands are in a state of living activity when the secretion product of the same is produced. Thus secretion is not brought about by mere physical causes, but by the active life of the small organs. Heidenhain has demonstrated something similar for the cells of the kidney and the intestinal walls. It is not the mere mechanical blood pressure or the chemical forces in question that are solely active, but special organic driving forces. Under certain conditions, these driving forces can work alone, independently of mechanical effects, under certain other conditions in combination with those others.

It remains characteristic of the way modern natural scientists think that Heidenhain himself did not draw the conclusion from his experiments that the life of cells obeys higher laws than the things of inorganic nature. He lived under the delusion that the life he perceived in the cells could still be explained by physical and chemical processes. Here one encounters a way of looking at things that immediately seems to lapse into mysticism when it leaves the ground of the simple laws according to which a stone falls to earth or according to which two liquids mix. One believes to enter the realm of miracles, of lawlessness, when one steps out of the realm of the purely mechanical laws of nature. This is the second reason why Heidenhain's experiments did not have a sufficient effect on the world view of the time. The natural scientists of today are too cowardly in their thinking. When they run out of wisdom in their mechanical explanations, they say: the matter cannot be explained for us. The future will bring enlightenment. They do not venture further than they can penetrate with the poor laws of mechanics, physics and chemistry. Bold thinking rises to a higher way of looking at things. It attempts to explain what is not mechanical according to higher laws. All our scientific thinking lags behind our scientific experience. The scientific way of thinking is highly praised today. It is said that we live in a scientific age. But basically this scientific age is the poorest that history has to record. It is characterized by a clinging to mere facts and mechanical explanations. Life is never comprehended by this way of thinking, because such a comprehension requires a higher level of imagination than the explanation of a machine.

Rudolf Heidenhain
Gestorben am 13. Oktober 1897

Die Bedeutung zu schildern, welche der vor einigen Tagen verstorbene Physiologe Rudolf Heidenhain für seine Fachwissenschaft hat, gehört nicht zu den Aufgaben dieser Wochenschrift. Nicht unberücksichtigt aber soll bleiben, daß in dem Breslauer Universitätslaboratorium Heidenhains Arbeiten gemacht worden sind, die für jeden wichtig sind, der nach einer allgemeinen Weltauffassung Bedürfnis hat. In unserer Zeit des Spezialistentums dringen die Ergebnisse gelehrter Einzelarbeit nicht leicht in das allgemeine Bewußtsein der Gebildeten. Diesem Umstande ist es zum Teile zuzuschreiben, daß Heidenhains Untersuchungen über das Leben der Zelle auf unsere moderne Weltanschauung nicht den Einfluß ausgeübt haben, den sie ihrer Natur nach hätten ausüben müssen. Allerdings kommt noch etwas anderes dazu, das ich später erwähnen will.

Unsere Naturauffassung strebt deutlich dem Ziele zu, das Leben der. Organismen nach denselben Gesetzen zu erklären, nach denen auch die Erscheinungen der leblosen Natur erklärt werden müssen. Mechanische, physikalische, chemische Gesetzmäßigkeit wird im tierischen und pflanzlichen Körper gesucht. Dieselbe Art von Gesetzen, die eine Maschine beherrschen, sollen, nur in unendlich komplizierter und schwer zu erkennender Form, auch im Örganismus tätig sein. Nichts soll zu diesen Gesetzen hinzutreten, um das Phänomen, das wir Leben nennen, möglich zu machen. Sie sollen es in vielfältiger Verkettung allein imstande sein. Diese mechanistische Auffassung der Lebenserscheinungen gewinnt immer mehr an Boden. Sie wird aber denjenigen nie befriedigen, der fähig ist, einen tieferen Blick in die Naturvorgänge zu tun. Ein solcher wird erkennen, daß in dem Organismus Gesetze höherer Art wirksam sind als in der leblosen Natur. Es wird ihm klar werden, daß nur derjenige solche Gesetze leugnen kann, der sie nicht sieht. Der tiefer Blickende wird sich mit niemandem gerne über die Gesetze des organischen Lebens streiten, wie sich der Farbensehende mit dem Farbenblinden nicht über die Farben streitet. Ein solcher tiefer Blickender weiß, daß schon in der kleinsten Zelle Gesetze höherer Art wirksam sind als in der Maschine.

Durch Untersuchungen wie diejenigen Heidenhains gewinnen die Ideen über besondere Gesetze der Organismen bestimmten Inhalt im einzelnen. Dieser Forscher hat gezeigt, daß die Zellen der Speicheldrüsen in lebendiger Tätigkeit begriffen sind, wenn das Absonderungsprodukt derselben erzeugt wird. Es wird also die Absonderung nicht durch bloße physikalische Ursachen, sondern durch das aktive Leben der kleinen Organe bewirkt. Ein Ähnliches hat Heidenhain für die Zellen der Niere und der Darmwandungen nachgewiesen. Nicht der bloße mechanische Blutdruck oder die chemischen Kräfte, die in Betracht kommen, sind allein tätig, sondern besondere organische Triebkräfte. Diese Triebkräfte können unter bestimmten Bedingungen allein, unabhängig von mechanischen Wirkungen arbeiten, unter bestimmten andern in Kombination mit jenen andern.

Charakteristisch für die Denkart der modernen Naturforscher bleibt es, daß Heidenhain aus seinen Versuchen selbst nicht den Schluß gezogen hat, daß das Leben der Zellen höheren Gesetzen gehorcht als die Dinge der unorganischen Natur. Er lebte in dem Wahne, daß das Eigenleben, das er in den Zellen wahrnahm, sich doch noch werde aus physikalischen und chemischen Vorgängen erklären lassen. Man begegnet hier der Anschauungsweise, welche sogleich in Mystizismus zu verfallen glaubt, wenn sie den Boden der einfachen Gesetzmäßigkeit verläßt, nach der ein Stein zur Erde fällt oder nach der zwei Flüssigkeiten sich mischen. Man glaubt in das Gebiet des Wunders, der Gesetzlosigkeit zu kommen, wenn man aus dem Bereiche der rein mechanischen Naturgesetze heraustritt. Dies ist der zweite Grund, warum Heidenhains Versuche auf die Weltanschauung der Zeit nicht genügend gewirkt haben. Die Naturforscher von heute sind in ihrem Denken zu feige. Wo ihnen die Weisheit ihrer mechanischen Erklärungen ausgeht, da sagen sie: für uns ist die Sache nicht erklärbar. Die Zukunft wird Aufschluß bringen. Sie wagen sich nicht weiter vor, als sie mit den armseligen Gesetzen der Mechanik, Physik und Chemie dringen können. Ein kühnes Denken erhebt sich zu einer höheren Anschauungsweise. Es versucht, nach höheren Gesetzen zu erklären, was nicht mechanischer Art ist. All unser naturwissenschaftliches Denken bleibt hinter unserer naturwissenschaftlichen Erfahrung zurück. Man rühmt heute die naturwissenschaftliche Denkart sehr. Man spricht davon, daß wir im naturwissenschaftlichen Zeitalter leben. Aber im Grunde ist dieses naturwissenschaftliche Zeitalter das ärmlichste, das die Geschichte zu verzeichnen hat. Hängenbleiben an den bloßen Tatsachen und an den mechanischen Erklärungsarten ist sein Charakteristikum. Das Leben wird von dieser Denkart nie begriffen, weil zu einem solchen Begreifen eine höhere Vorstellungsweise gehört als zur Erklärung einer Maschine.