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The Rudolf Steiner Archive

a project of Steiner Online Library, a public charity

Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29

Automated Translation

Dramaturgische Blätter 1898, Volume I, 16

25. New and Old Dramatics

Now things are suddenly supposed to be different. For a decade and a half, the preachers of "modernism" have never tired of telling us that we can no longer continue along the paths that Schiller and Goethe took. The classical forms, the monumental on stage, the stylization must stop. Pure, unadulterated nature must be given its due. But that was five years ago. Since then, these "modernists" have discovered that there are nerves. Then they said: Nerves, they are modern. Modern dramas must have an effect on the "nerves". We listened quietly to these modernists. Because they said: we want to discover the new art, we have to let off steam first. We might do stupid things for the time being, but good things will come. Yes, but it didn't come. Now all of a sudden these "moderns" are starting to tell us that Goethe was right after all. That's going too far. We won't allow ourselves to be treated like this. We have remained silent until now. We have gladly listened to people preach naturalism to us. After all, we have also put up with symbolism. But the fact that now the people who sang us the song with the chest tone of their conviction: Goethe's art is over, that these people are now coming to teach us what Goethe wanted, wrote and thought - we won't put up with that. We have always known what Goethean art is. We have also known that there can be something else that is different. And finally, we have even known that Goethe lived at the end of the last century, and that at the end of this century mankind has other needs than Goethe's contemporaries. But when our contemporaries come and want to teach us what real art is in Goethe's sense, and that we should convert to this art, then let us have a serious word.

Some of our younger writers discovered Goethe a few days ago. Several are now even copying Goethe's rules of art and having them printed in modern reviews. They are starting to write something really clever. And teach us what real art is in Goethe's sense. I want to let these gentlemen in on a secret. We don't really care what they tell us. It tells us only the most banal things. But these gentlemen are gifted. They will go even further in their understanding of Goethe. That's why we shouldn't judge them too harshly. Today they tell us things that we can do without, because we have them in our blood; they are trivialities for us. Tomorrow they will glean things from Goethe that are strange and new to us. One of these gifted people recently wrote a magazine article entitled "Back to Goethe". He said that it is good to remember Goethe's artistic maxims after all. He cited individual contemporaries who share his sentiments. He was wrong about some of them. For if today a truly artistic nature goes back to Goethe, it is for the truly easy-to-understand reason that Goethe wrote many a good thing after all. Points of view do not even come into consideration in relation to Goethe.

We have been watching for a long time. But we cannot tolerate someone taking the liberty of saying the same things we have always said.

I am writing all this without naming names. Because names are out of the question. Anyone who has followed the criticism of recent days knows that the champions of "modernism" suddenly want to teach us what Goethean, what classical art is. Perhaps now is precisely the time to tell these "modernists" that they have finally arrived at what we have long known. Up to now we have watched because we thought: now it's coming. But at last we no longer want to clench our fists in our pockets. At last we want to say openly that we believe in every new genius, but not in abstruse idioms. The theorists of "modernity" have already led enough talented people astray. This must not continue.

As little as the botanist influences the plant in its development, so little should the art theorist, who speaks of new directions, influence the creative people, who should follow themselves and not the theories.

I hope that is clearly spoken. I am not speaking as a conservative or reactionary. But I'm saying it because I'm finally getting tired of hearing people talk about things that are supposed to be new and yet are only new because their standard-bearers don't know the old.

If someone discovered the Pythagorean theorem today, they would be laughed at. If someone today discovers art forms and art values that are no less indicative of a certain venerable age, they are referred to as "modern views".

It is necessary to have learned something! And only those who know what its opposite is should speak of "modernity". Incidentally, I love everything contemporary.

NEUE UND ALTE DRAMATIK

Jetzt soll es plötzlich anders werden. Anderthalb Jahrzehnte sind die Prediger der «Moderne» nicht müde geworden, uns zu sagen, daß es in den Bahnen, die Schiller und Goethe eingeschlagen haben, nicht mehr weitergehen kann. Die klassischen Formen, das Monumentale auf der Bühne, die Stilisierung müsse aufhören. Die reine, unverfälschte Natur müsse zu ihrem Rechte kommen. Doch das ist nun fünf Jahre her. Seitdem haben diese «Modernen» entdeckt, daß es Nerven gibt. Da sagten sie: Nerven, die sind modern. Moderne Dramen müssen auf die «Nerven» wirken. Wir haben diesen Modernen ruhig zugehört. Denn sie sagten: wir wollen die neue Kunst entdecken, dazu müssen wir uns erst austoben. Vorläufig machen wir vielleicht Dummheiten, aber das Gute wird schon kommen. Ja, es ist aber nicht gekommen. Jetzt auf einmal fangen diese «Modernen» an, uns zu sagen, daß Goethe doch recht gehabt hat. Das geht zu weit. So lassen wir uns denn doch nicht behandeln. Wir haben bis jetzt geschwiegen. Wir haben gerne mitangehört, wie uns die Leute den Naturalismus gepredigt haben. Wir haben schließlich auch noch den Symbolismus über uns ergehen lassen. Aber daß jetzt die Leute, die uns mit dem Brustton ihrer Überzeugung das Lied sangen: mit Goethescher Kunst ist es zu Ende, daß diese Leute jetzt kommen, um uns zu belehren, was Goethe gewollt, gedichtet, gedacht hat — das lassen wir uns nicht gefallen. Wir haben immer gewußt, was Goethesche Kunst ist. Wir haben auch gewußt, daß es noch etwas geben kann, was anders ist. Und schliesslich selbst das haben wir gewußt, daß Goethe am Ende des vorigen Jahrhunderts gelebt hat, und daß am Ende dieses Jahrhunderts die Menschheit andere Bedürfnisse hat als die Zeitgenossen Goethes. Wenn aber znsere Zeitgenossen kommen und uns darüber belehren wollen, was die echte Kunst im Sinne Goethes ist, und daß wir uns zu dieser Kunst bekehren sollen, dann wollen wir doch einmal ein ernstes Wörtchen reden.

Einzelne unserer jüngeren Literaten entdeckten vor ein paar Tagen Goethe. Mehrere schreiben jetzt sogar Goethes Kunstregeln ab und lassen sie in modernen Revuen drucken. Sie fangen an, etwas ganz Gescheites zu schreiben. Und belehren uns darüber, was echte Kunst im Sinne Goethes ist. Ich will diesen Herren ein Geheimnis verraten. Was sie uns sagen, ist uns herzlich gleichgültig. Es sagt uns nämlich bloß höchst banale Dinge. Aber diese Herren sind begabt. Sie werden in ihrem Goethe-Verständnis noch weiter vorrücken. Deshalb darf man sie nicht zu strenge beurteilen. Heute sagen sie uns Dinge, die wir entbehren können, denn wir haben sie im Blute; sie sind für uns Trivialitäten. Morgen werden sie aus Goethe manches herauslesen, was uns fremd, neu ist. Einer von diesen Begabten hat vor kurzem einen Zeitschriftenartikel geschrieben «Zurück zu Goethe». Daß es denn doch gut ist, an die Kunstmaximen Goethes zu erinnern, hat er gesagt. Er hat einzelne Zeitgenossen angeführt, die mit ihm die gleiche Gesinnung haben. Manchen hat er dabei unrecht getan. Denn wenn heute eine wirklich künstlerische Natur auf Goethe zurückgeht, so hat das den wahrhaftig leicht zu durchschauenden Grund, daß Goethe manches Gute doch geschrieben hat. Goethe gegenüber kommen Standpunkte eben gar nicht in Betracht.

Lange haben wir zugesehen. Aber daß sich jemand herausnimmt, dasselbe zu sagen, was wir immer sagten, das vertragen wir denn doch nicht.

Das alles schreibe ich, ohne Namen zu nennen. Denn Namen kommen dabei gar nicht in Betracht. Jeder, welcher die Kritik der jüngsten Tage verfolgt hat, weiß, daß jetzt plötzlich die Vorkämpfer der «Moderne» uns belehren wollen, was Goethesche, was klassische Kunst ist. Vielleicht ist gerade jetzt der Zeitpunkt, diesen «Modernen» zu sagen, daß sie endlich auf dasselbe gekommen sind, was wir längst wußten. Bisher haben wir zugesehen, weil wir dachten: nun kommt es. Endlich aber wollen wir die Faust nicht mehr in der Tasche ballen. Endlich wollen wir offen sagen, daß wir zwar an jedes neue Genie, aber nicht an abstruse Redensarten glauben. Die Theoretiker der «Moderne» haben uns schon genug begabte Leute auf einen Holzweg geführt. Das darf nicht weitergehen.

Sowenig, wie der Botaniker die Pflanze in ihrer Entwickelung beeinflußt, sowenig soll der Kunsttheoretiker, der von neuen Richtungen spricht, die schaffenden Leute beeinflussen, die sich und nicht den Theorien folgen sollen.

Das ist, so hoffe ich, deutlich gesprochen. Ich spreche das nicht als Konservativer oder Reaktionär. Aber ich spreche es deswegen, weil es mir endlich zu toll wird, immerfort von Dingen reden zu hören, die neue sein sollen, und die es doch nur deshalb sind, weil ihre Bannerträger das Alte nicht kennen.

Wenn heute jemand den pythagoräischen Lehrsatz entdeckte, so würde man ihn auslachen. Wenn heute jemand Kunstformen und Kunstwerte entdeckt, die nicht minder auf ein gewisses ehrwürdiges Alter hinweisen können, so spricht man von «modernen Anschauungen».

Es ist doch notwendig, daß man erwas gelernt hat! Und nur der sollte von «Moderne» reden, der weiß, was ihr Gegenteil ist. Im übrigen liebe ich alles Gegenwärtige.