Collected Essays on Drama 1889–1900
GA 29
Automated Translation
Magazin für Literatur 1897, Volume 66, 37
50. “Unjamwewe”
Comedy in four acts by Ernst von Wolzogen
Performance at the Lessing Theater, Berlin
Every time Ernst von Wolzogen appears in public with a new dramatic performance, I have the feeling that this artist has become a good deal more mature, more accomplished. It is often said that Wolzogen will provide us with the genuine German comedy that we all long for. For his noble talent, his fine sensibility and knowledge of social life and the people within it, enable him to do so. In addition, he knows the needs of the stage like few others and does not seem at all inclined to forget the requirements of the theater for the sake of any aesthetic tendencies of the time. Wolzogen's comedies are depictions of life in the best sense of the word, but his naturalism goes no further than the conditions of the stage, which is not the real world after all.
The comedy, which has just been performed for the first time at the Lessing Theater, seems to me to be the work of a witty artist who manages to amuse and show deeper emotional conflicts at the same time. The characterization of the characters shows the thorough connoisseur of human nature, the psychologist in the good sense of the word. Nowhere is there even a trace of the mistake into which the comic playwright so easily falls: the drawing of distorted images. We are dealing with quite possible characters. Anyone who lets the German and foreign comedy literature pass before his mind will admit that it is precisely this drawing of genuine comedy characters that deserves the highest praise.
In the middle of the plot is the African traveler Dr. Franz Ewert. He has conquered Unjamwewe and returned to Europe to interest people in exploiting the territory he has won. The social circles he addresses are described by the poet in the best possible way. The effect of the catchword, the influence of the purse, the arrogance of certain classes are portrayed in a way that can only be described as masterly. Above all, however, the personality of Dr. Ewert himself is worked out in a way that reveals that Wolzogen also understands people who are to be regarded as exceptional natures. The light mind, which pursues its task in a straight line and regards things and circumstances that are sacred to other people as an end in themselves, only as a means to its ends, comes to the fore, as does the deeper nature that must be characteristic of such exceptional people if they are not to offend - at least in comedy. Dr. Ewert is an adventurer, but he is serious about his cause. His adventurous nature is just great enough to make him forget dangers and considerations, but it is not great enough to tempt him to pursue ventures as mere sport. This adventurer is not a heavy, but a tenacious, not a very deep, but a purposeful nature, which attaches great importance to what it does. He is light-hearted enough to coolly reject the wife of his rich benefactor, who throws herself at him because she loves the man of strength; but he is not frivolous enough to refuse the poor actress, who loves him dearly and has become the mother of his child, her heart's desire to make her his wife. He despises the wretched fellows who form a cooperative to exploit his African conquests, but he uses them to carry out his plans. He establishes a cozy home with his beloved Kathi, the mother of his child, but he rejoices when the news comes that the empire has accepted his enterprise and he can go back to the Kaffirs. The peculiarity of such a powerful nature, which inspires us with respect at every moment, both through its healthy sense of purpose and the ruthlessness of its actions, has perhaps never been portrayed as perfectly as in this comedy. Wolzogen has shown himself equal to the task of creating the psychology of the serious adventurer, the higher gypsy. This higher gypsy is the gypsy of action. It is to him that we owe the achievements of culture, which require strength and intelligence, but no moral scruples. Many have tried to bring him to the stage. None has succeeded to such a high degree as Ernst von Wolzogen. I believe the reason lies in the fact that Wolzogen is an artist whose rarely fine powers of observation are translated into characters in a playful way. Wolzogen sees a lot and can do a lot. That is easy to say, but there are few of whom it can be said.
"Unjamwewe" captivates not through situation comedy, not through farcical jokes, but through the witty development of real conflicts and the portrayal of real people. I was not bored for a moment, and I am convinced that amusement is never bought at the price of art. That is why I call Ernst von Wolzogen a distinguished artist. I do not believe that we now have the longed-for "German comedy"; but I am sure of this: Wolzogen's latest creation has brought us a good deal closer to it. We will soon be so far along that we won't have to keep coming up with "journalists" in German comedies either, if we want to call them something of some value.
«UNJAMWEWE»
Komödie in vier Aufzügen von Ernst von Wolzogen
Aufführung im Lessing-Theater, Berlin
Jedesmal, wenn Ernst von Wolzogen mit einer neuen dramatischen Leistung in die Öffentlichkeit tritt, habe ich das Gefühl: dieser Künstler ist wieder um ein gutes Stück reifer, vollendeter geworden. Es wird öfter gesagt, daß das echte deutsche Lustspiel, das wir alle ersehnen, uns Wolzogen liefern wird. Denn seine vornehme Begabung, seine feine Empfindung und Kenntnis des gesellschaftlichen Lebens und der Menschen, die innerhalb dieses Lebens stehen, befähigen ihn dazu. Dazu kommt, daß er die Bedürfnisse der Bühne wie wenige kennt und durchaus nicht geneigt zu sein scheint, um irgendwelcher ästhetischer Tendenzen der Zeit willen die Anforderungen des Theaters zu vergessen. Wolzogens Komödien sind Abbilder des Lebens im besten Sinne des Wortes, aber sein Naturalismus geht nicht weiter, als es die Verhältnisse der Bühne, die nun doch einmal nicht die wirkliche Welt ist, gestatten.
Die Komödie, die eben im Lessing-Theater zum ersten Male aufgeführt worden ist, erscheint mir als das Werk eines geistreichen Künstlers, dem es gelingt, zu gleicher Zeit zu amüsieren und tiefere seelische Konflikte zu zeigen. Die Charakteristik der Personen zeigt den gründlichen Menschenkenner, den Psychologen im guten Sinne des Wortes. Nirgends ist auch nur eine Spur von dem Fehler zu entdecken, in den der Lustspieldichter so leicht verfällt: in das Zeichnen von Zerrbildern. Wir haben es mit durchaus möglichen Charakteren zu tun. Wer die deutsche und auch die ausländische Lustspielliteratur vor seinem Geiste vorüberziehen läßt, wird zugeben, daß gerade dies Zeichnen echter Lustspielcharaktere das höchste Lob verdient.
In der Mitte der Handlung steht der Afrikareisende Dr. Franz Ewert. Er hat Unjamwewe erobert und ist nach Europa zurückgekehrt, um die Leute für die Ausnützung des gewonnenen Gebietes zu interessieren. Die gesellschaftlichen Kreise, an die er sich wendet, werden ihrem Wesen nach von dem Dichter in der besten Weise geschildert. Die Wirkung des Schlagwortes, der Einfluß des Geldbeutels, der Hochmut gewisser Stände sind in einer Weise dargestellt, die man nur als meisterhaft bezeichnen kann. Vor allen Dingen aber ist die Persönlichkeit des Dr. Ewert selbst in einer Weise herausgearbeiter, die verrät, daß sich Wolzogen auch auf Menschen versteht, die durchaus als Ausnahmenaturen zu gelten haben. Der leichte Sinn, der in gerader Linie seine Aufgabe verfolgt und dabei Dinge und Verhältnisse, die anderen Menschen heilig als Selbstzweck sind, nur als Mittel für seine Ziele betrachtet, kommt ebenso zur Geltung wie die tiefere Natur, die solchen Ausnahmemenschen eignen muß, wenn sie — wenigstens in der Komödie — nicht verletzen sollen. Dr. Ewert ist ein Abenteurer, aber es ist ihm ernst um seine Sache. Seine Abenteurernatur ist gerade groß genug, um ihn Gefahren und Rücksichten vergessen zu lassen, aber sie ist nicht groß genug, um ihn dazu zu verleiten, Unternehmungen als bloßen Sport zu betreiben. Keine schwere, aber eine zähe, keine sehr tiefe, aber eine zielbewußte Natur, welche die Bedeutung ihres Tuns hoch anschlägt, ist dieser Abenteurer. Er ist leichtlebig genug, um die Frau seines reichen Wohlräters, die sich ihm an den Hals wirft, weil sie den Kraftmenschen liebt, kühl zurückzuweisen; aber er ist nicht frivol genug, um der armen Schauspielerin, die ihn innig liebt und die Mutter seines Kindes geworden ist, ihren Herzenswunsch zurückzuweisen, sie zu seinem Weibe zu machen. Er verachtet die elenden Gesellen, die eine Genossenschaft zur Ausnützung seiner afrikanischen Eroberungen begründen, aber er gebraucht sie, um seine Pläne auszuführen. Er gründet sich ein trauliches Heim mit seiner geliebten Kathi, der Mutter seines Kindes, aber er jauchzt doch auf, als die Nachricht kommt, daß das Reich sich seiner Unternehmung angenommen und er wieder zu den Kaffern gehen kann. Das Eigentümliche einer solchen Kraftnatur, die uns in jedem Momente aufs neue Respekt einflößt sowohl durch die gesunde Zielbewußtheit wie durch die Rücksichtslosigkeit ihres Wirkens, ist vielleicht niemals so vollendet geschildert worden wie in dieser Komödie. Wolzogen hat sich der Aufgabe gewachsen gezeigt, die Psychologie des ernsten Abenteurers, des höheren Zigeuners zu gestalten. Dieser höhere Zigeuner ist der Zigeuner der Tat. Ihm verdankt man die Errungenschaften der Kultur, zu denen man Kraft und Klugheit, aber keine moralischen Bedenken brauchen kann. Viele haben sich bemüht, ihn auf die Bühne zu bringen. Keinem ist es in so hohem Grade gelungen wie Ernst von Wolzogen. Ich glaube, der Grund liegt darinnen, daß Wolzogen ein Künstler ist, bei dem sich eine selten feine Beobachtungsgabe in einer spielenden Weise in Gestalten umsetzt. Wolzogen sieht viel und kann viel. Das ist einfach gesagt, aber es sind wenige, von denen man es sagen kann.
Nicht durch Situationskomik, nicht durch possenhafte Scherze, sondern durch geistreiche Entwickelung wahrer Konflikte und durch Darstellung wirklicher Menschen fesselt «Unjamwewe». Ich habe mich keinen Augenblick gelangweilt, und ich habe die Überzeugung, daß die Kurzweil nirgends mit einem Preisgeben der Kunst erkauft ist. Deshalb nenne ich Ernst von Wolzogen einen vornehmen Künstler. Ich glaube nicht, daß wir jetzt das ersehnte «deutsche Lustspiel» haben; aber das ist mir sicher: wir sind ihm durch Wolzogens neueste Schöpfung um ein gutes Stück näher gekommen. Wir werden bald so weit sein, daß wir auch im deutschen Lustspiele nicht ewig auf die «Journalisten» werden kommen müssen, wenn wir etwas einigermaßen Wertvolles nennen wollen.